Emma Urschitz

Oft kamen auch deutsche Soldaten auf den Hof

Ich, Emma Urschitz, wurde am 11. Dezember 1931 als zweites von vier Kindern der Eltern Agnes Lipusch, geb. Urch, und Johann Lipusch, vlg. Lips, in Remschenik geboren.

Der Bauernhof, auf dem ich geboren wurde, befindet sich seit Generationen im Familienbesitz und liegt auf einer Seehöhe von 1.000 Metern, wo ich die ersten Jahre meines Lebens in der sicheren Umgebung meines Elternhauses aufgewachsen bin.

Da meine Eltern Slowenen waren, meine Mutter kein Wort Deutsch, der Vater nur ganz wenig Deutsch sprach, war unsere tägliche Sprache Slowenisch.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1938 verschlechterte sich die Lebenssituation der Familie schlagartig, weil mein Vater Johann Lipusch zur Deutschen Wehrmacht eingezogen wurde. Somit blieb meine Mutter mit uns vier kleinen Kindern und den Großeltern alleine am Hof zurück. Es entstand hiermit für uns Kinder und für die Mutter schlagartig eine stark vermehrte Arbeitsbelastung. Ich als kleines und ältestes Mädchen musste täglich schwere Arbeiten verrichten.

Als ich im Jahre 1938 in die Schule kam, war es für mich fürchterlich, weil ich kein Wort Deutsch verstanden habe. Aufgrund der zunehmenden Slowenenfeindlichkeit des nationalsozialistischen Regimes kam es zum Verbot der slowenischen Sprache in der Schule und in der Öffentlichkeit.

Der Unterricht wurde abwechselnd einmal eine Woche in Remschenik und eine Woche in Leppen abgehalten. Der Schulweg in die Volksschule in Remschenik betrug hin und zurück ca. eine Stunde, und der Schulweg in die Volksschule Leppen betrug hin und zurück ca. vier Stunden, und das bei jedem Wetter, im Winter der viele Schnee und die schlechte Bekleidung. An den beiden Schulen unterrichteten Lehrer, die streng nationalsozialistisch gesinnt waren und uns auch dementsprechend behandelten.

Wenn ich mit meiner Mitschülerin ein slowenisches Wort sprach, was für mich ganz normal war, wurde ich an den Haaren gerissen, dass mir ganze Haarbüschel fehlten. Ich wurde auch mit einem einen Meter langen Haselstock geschlagen, wenn ich ein deutsches Wort nicht ordentlich aussprechen konnte. Oft musste ich die Finger der Hand zu einer Pfötchenstellung zusammenziehen und wurde dann mit dem Haselstock so auf die Fingerspitzen geschlagen, bis ich blutete.

Ich hatte sehr große Angst vor dem Lehrer. Wenn er mit seinen hohen Stiefeln die Klasse betrat, knarrten die Stiefel unheimlich am Bretterboden. Und vor lauter Angst haben ich und auch andere Mädchen oft in die Hose gemacht. Der Lehrer bemerkte dies, und ich musste manchmal auf den Holzscheiten, die zum Beheizen des Klassenzimmers bestimmt waren, vor der Tafel knien.

Bereits ab dem Jahre 1941 entwickelte sich in der Umgebung eine zunehmend starke Partisanenaktivität. Die Partisanen kamen bald nach Beginn ihrer Aktivitäten aufgrund der geographischen Lage des Hofes und der ethnischen Zugehörigkeit der Familie immer wieder auf den Hof, um Nahrungsmittel zu erbitten. Die Eltern unterstützten die Partisanen immer, obwohl sie wussten, dass ihnen deswegen strenge Strafen drohten. Wer Partisanen unterstützte, wurde, wenn dies den deutschen Soldaten zu Ohren kam, verhaftet und in ein KZ gebracht oder gleich an Ort und Stelle hingerichtet.

Oft kamen auch deutsche Soldaten auf den Hof und nahmen gewaltsam alles mit, was sie brauchten. Mit meiner Mutter habe ich oft Brot gebacken. Das Brot wurde noch ofenwarm von der Deutschen Wehrmacht mitgenommen. Es wurden auch Schweine, Schafe, Rinder geschlachtet und mitgenommen. Mitgenommen wurde auch alles Bettzeug, Decken, Töpfe, Essbesteck, so dass wir zu Hause sehr oft Hunger leiden mussten. Der Großvater hat für uns Kinder Holzlöffel angefertigt, damit wir essen konnten. Ich kann mich erinnern, wie nachts deutsche Soldaten massiv an die Haustüre schlugen und gewaltsam in das Haus drangen, wild um sich schossen und alles durchsuchten, um Partisanen zu finden. Vor lauter Angst habe ich mich mit meinen Geschwistern unterm Bett versteckt.

Solche gewaltsamen Hausdurchsuchungen durch deutsche Soldaten gab es sehr oft. Es kam auch oft vor, dass deutsche Patrouillen den ganzen Tag in der Nähe des Hofes blieben und alles beobachteten. Vor lauter Angst haben wir uns nicht aus dem Haus getraut und konnten auch das Vieh nicht versorgen. Wir sind zusammengekauert auf der Ofenbank gegessen und haben gebetet.

Eines Tages kamen SS-Männer auf den Hof und sagten, dass wir Banditen (Partisanen) unterstützen, und drohten, meine Mutter und den Großvater zu erschießen. Meine Mutter und mein Großvater, der schon ein alter Mann war, mussten auf dem Boden knien, und es wurde ihnen von den Soldaten das Gewehr an die Brust gesetzt. Ich und meine jüngeren Geschwister schrien und weinten vor lauter Angst. Wir mussten uns dann auch auf den Boden knien, und uns wurde gedroht, wenn wir nicht sofort ruhig sind, wird die Mutter sofort erschossen. Meine Mutter und der Großvater, der schwer gehen konnte, wurden von den Nazis mitgenommen, nach Klagenfurt gebracht und im Gestapo-Gefangenenhaus drei Wochen lang eingesperrt.

In dieser Zeit war ich mit meinen jüngeren Geschwistern, einem Bruder, der 1933, und einer Schwester, die 1935 geboren war, alleine am Hof. Ich war 12–13 Jahre alt und musste auf die beiden Geschwister aufpassen, den Hof bewirtschaften und das noch verbliebene Vieh versorgen. In der Zeit, wo ich mit meinen Geschwistern alleine war, kamen immer wieder deutsche Soldaten und beobachteten das Geschehen am Hof. In der Nähe des Hofes kam es oft zwischen den deutschen Soldaten und den Partisanen zu heftigen Kämpfen mit Toten. Die Toten waren fast immer Partisanen.

Die deutschen Soldaten sagten immer wieder zu uns Kindern, dass die Mutter nicht mehr nach Hause kommen wird, weil sie tot sei. Sie drohten uns auch das Haus abzubrennen, wenn wir nicht sagten, dass Banditen (Partisanen) am Hof waren. Viele Nächte sind wir angezogen am Bett gesessen, trauten uns aus lauter Angst nicht einschlafen, um nicht mit dem Haus mitverbrannt zu werden. Endlich kamen Mutter und Großvater wieder zurück. Es ging alles so weiter wie bisher.

Ich hatte noch einen älteren Bruder Karl, der 1926 geboren war und im Jahre 1944 zur Stellungskommission einberufen wurde. Als er von der Stellung zurückkam, ging er zu den Partisanen, stand somit für eine Unterstützung am Hofe nicht mehr zur Verfügung.

So wie an vielen Tagen, kamen auch eines Tages zwei Partisanen durch die Hintertür in die Küche. Meine Mutter kochte den beiden schnell einen Sterz, ich wärmte schnell die Milch, damit die beiden gleich essen konnten, um sofort wieder den Hof zu verlassen. Die beiden gingen zum Nachbarhof weiter und wurden dabei von den deutschen Soldaten beobachtet, wie sie das Bauernhaus betraten. Beim Verlassen des Hauses wurden sie von den Soldaten erschossen. Wir eilten zum Nachbarhof und sahen die beiden Toten. Die deutschen Soldaten sagten, wir müssen die Banditen begraben. Ich habe das Bild von den beiden Toten noch immer vor Augen. Wie bei den Toten aus den Einschusslöchern am Bauch die getrunkene Milch herausgeronnen ist. Nach dem ganzen Schock haben wir dann die Toten zu uns auf den Hof gebracht. Wir mussten zuerst den Platz hinter der Holzhütte vom vielen Schnee freimachen, um die beiden beerdigen zu können.

Ich musste oft mit ansehen, wie meine Mutter von den deutschen Soldaten in der Küche oder in der Stube mit dem Gewehr bedroht oder mit dem Gewehr geschlagen wurde. Für meine Mutter war es ohnehin sehr schwierig, sich verständlich zu machen, da sie kein Deutsch konnte. Dass der Vater auch Soldat war, nützte nichts.

Ich wurde auch als junges Mädchen von den deutschen Soldaten am Hof verhört. Ob ich etwas über die Partisanen wüsste, wie oft sie am Hof waren. Mir wurde es aber strengstens verboten, darüber zu sprechen. Weil ich darüber nicht sprach, bekam ich öfters Ohrfeigen, oft so heftige, bis Blut aus der Nase rann. Ich hatte einen langen Zopf, auf den ich sehr stolz war, der wurde mir auch abgeschnitten.

Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich, als im Jahre 1942 die Behörden begannen, slowenischsprachige Bewohner in Südkärnten zu verhaften und auszusiedeln [1]. Eines Tages bekamen wir die fürchterliche Nachricht, dass meine Tante Maria Lesnik (Schwester meines Vaters), die über dem Berg in Leppen wohnte, von der Gestapo wegen der Unterstützung der Partisanen und der ethnischen Zugehörigkeit gemeinsam mit ihrem Mann Karl Lesnik (mein Onkel) verhaftet wurde. Mein Onkel Karl Lesnik kam nach Dachau und kam dort ums Leben. Meine Tante Maria Lesnik kam in das KZ Ravensbrück, von wo sie nach dem Ende des Krieges sehr krank nach Hause kam. Eine weitere Tante, Maria Lipus (Schwägerin meines Vaters), die mit ihren beiden Söhnen in Remschenik wohnte, wurde ebenso wegen der ethnischen Zugehörigkeit in das KZ gebracht, wo sie umgebracht wurde. Die beiden Söhne hat dann meine Mutter zu uns auf den Hof geholt.

Es wurden Hunderte Slowenen ausgesiedelt und umgebracht. In der nächsten Umgebung wurden ganze Familien vom Säugling bis zum Urgroßvater bestialisch ermordet und dann die Bauernhöfe zur Gänze niedergebrannt, so wie der Persmanhof und der Hojnikhof. Weiters musste ich miterleben, wie im Jahre 1944 die Nazis das Logartal im benachbarten Jugoslawien (heute Slowenien) niederbrannten. Es wurde ein ganzes Tal in Schutt und Asche gelegt. Rauchschwaden wälzten sich über den Ovseva-Berg bis zu unserem Hof, und ein fürchterlicher Gestank von verbranntem Fleisch lag in der Luft.

Mein Vater kam Gott sei Dank vom Krieg zurück. Er war am einen Ohr völlig ertaubt. Langsam gelang es uns, den Hof wieder normal zu bewirtschaften.

Noch heute, wenn ich jemanden in Uniform oder die Kriegsbilder in den Nachrichten sehe, werde ich an meine Kindheit erinnert. Dabei bekomme ich Angstattacken, Magenbeschwerden, Schweißausbrüche, Herzrasen, bin sehr nervös und kann nachts sehr schlecht schlafen, da ich sehr oft von Albträumen verfolgt werde.

Die vielen Belastungen in der Kriegszeit, die ich als Kind miterleben musste, wie Todesangst, Hunger, psychischer Druck in der Schule, Unterernährung u.a., haben mich so sehr belastet, dass ich noch bis zum Alter von 15–16 Jahren Bettnässerin war und an den Fingernägeln so gebissen habe, dass die Finger wund waren. Auch mein Haar ergraute schon in der frühesten Jugend.

Da ich den Schulunterricht nicht regelmäßig besuchen konnte, hatte ich keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung. Daher musste ich zu Hause am Hof als Magd und Holzknecht arbeiten. Im Winter musste ich mit dem Pferd das geschlägerte Holz ins Tal bringen, im Wald bei Schlägerungsarbeiten helfen und im Sommer bei den Erntearbeiten, die wegen der Steilhänge sehr beschwerlich waren

Ich blieb noch bis zum Jahre 1956 bei meinen Eltern auf dem Hof, zog dann zu meinem Gatten nach Eisenkappel, gebar vier Kinder und sorgte fortan für die Familie.

Noch heute, wenn ich jemanden in Uniform oder die Kriegsbilder in den Nachrichten sehe, werde ich an meine Kindheit erinnert. Dabei bekomme ich Angstattacken, Magenbeschwerden, Schweißausbrüche, Herzrasen, bin sehr nervös und kann nachts sehr schlecht schlafen, da ich sehr oft von Albträumen verfolgt werde.

[1] Im April 1942 wurden in einer Großaktion rund 1.000 Kärntner Sloweninnen und Slowenen "ausgesiedelt" und ins "Altreich" deportiert, wo die meisten von ihnen bis Kriegsende in Lagern leben mussten.