Erna Reves

Lebensbericht

Frau Reves wurde 1934 als Tochter eines Sinto und einer Jenischen geboren. Die Mutter von Frau Reves verstarb früh. Ihr Vater wurde nach dem "Anschluss" ins Konzentrationslager deportiert. Frau Reves verbrachte die Zeit von 1938 bis 1945 bei verschiedenen Pflegefamilien.

 

Ich wurde am 30. September 1934 in Salzburg geboren.

Mutter: Maria Pichler, geboren im Mai 1907 in Ebensee, Oberösterreich, Vater: Rupert Vrba, geboren ca. 1908 in Böhmen, Jungbunzlau.

Mein Vater war Angehöriger der Volksgruppe der Sinti, meine Mutter gehörte den Jenischen an. Sie starb 1938 in Villach an TBC. Als ich vier Monate alt war, wurden mein Vater und ich im Grazer Gefängnis inhaftiert. 1938 war mein Vater auf der Flucht vor den Nazis. Er kam später in das KZ Mauthausen. Anschließend kam er mittels Transport nach Sachsenhausen, wo er 1945 von den Alliierten befreit wurde.

Diese für mich schlimme Zeit von 1938 bis 1945 musste ich auf verschiedenen Pflegeplätzen verbringen. Erst in Graz, später in Linz, bei einer gewissen Frau W. Anschließend kam ich nach Freistadt, . Zu einer Familie K. Mein Vater flüchtete aus dem Lager, holte mich von der Fam. K. ab. Innerhalb einer Woche wurde er wieder verhaftet. Ich kam abermals zu Frau W. nach Linz. Anschließend kam ich zur Fam. D. in Linz. Mein Vater flüchtete immer wieder wegen mir aus den verschiedensten Konzentrationslagern. Insgesamt neun Mal. Er suchte immer nach mir. Die Nationalsozialisten schlugen ihm deshalb alle Zähne ein.

Als mein Vater endlich aus dem KZ kam, holte er mich sofort zu sich. Mein Vater war sehr krank und ausgeschunden. Wir lebten in der Stabsbaracke der Gemeinde Leonding bei Linz. Ich war damals zwölfeinhalb Jahre alt.

Später zogen wir nach Zwettl im Waldviertel. Wir lebten davon, dass mein Vater Gummibänder und andere Kleinwaren verkaufte. So konnten wir unseren Lebensunterhalt notdürftig bestreiten. Mein Vater wurde in Zwettl operiert. Man entfernte ihm einen Teil seines Magen. 1960 starb mein geliebter Vater. Ich habe ihn bis zu seinem Tod gepflegt.

Mein Leben nahm von Anfang an einen prekären Verlauf. In der Schule rief man mich Bastard. Wenn mein Vater nicht von den Nationalsozialisten verhaftet worden wäre, hätte er sich um mich kümmern können, und ich wäre nicht von Pflegeplatz zu Pflegeplatz befördert worden. Es war mir nie möglich gewesen, mich richtig in die Gesellschaft einzugliedern. Mir fehlten alle Voraussetzungen, die mir ein geborgenes Elternhaus, wenn auch mit nur einem Elternteil, geboten hätte, und von meinem Vater hat man mich weggerissen.

Schwarz-weiß-Foto: stehende Frauen, alle Hände zum Hitlergruß erhoben, rufen etwas.
Begeisterter Empfang Hitlers in Graz, April 1938. (c) ÖNB/Rübelt