Franz Rehsmann

Die Vertreibung der Kärntner Slowenen in der NS-Zeit 1938–1945

Franz Rehsmann wurde am 5. Februar 1928 in Kärnten in eine slowenische Familie geboren. Im April 1942 wurde er mit seinen Eltern und Geschwistern in die Lager Hesselberg, Hagenbüchach und Eichstätt im Deutschen Reich deportiert. Als seine Eltern im Jänner 1944 aus dem Lager entlassen wurden und als Landarbeiter zu einer niederösterreichischen Gutsverwaltung kamen, musste Franz Rehsmann zu den Luftwaffenhelfern und kam später zum Arbeitsdienst an die ungarische Grenze. Die Familie kehrte im Juli 1945 nach Kärnten auf ihren Bauernhof zurück, der in der Zwischenzeit von einer Familie aus dem italienischen Kanaltal übernommen worden war. 1948 gelangte der Hof wieder in den Besitz der Familie Rehsmann.

 

Ich war damals [1] 10 Jahre alt und konnte so die letzten Tage Österreichs miterleben.

Die erste Begegnung mit den Nazis war auf dem Weg zur Schule. Zwei aus dem Dorf mit einer Hakenkreuzbinde am Arm nötigten einen Keuschler [2], die Plakate für ein freies Österreich von den Haus- und Stadelwänden [3] zu entfernen, die er noch einige Tage vorher angebracht hatte. Und vor dem Hotel des Bürgermeisters sind johlende Nazis in einem Lastwagen vorgefahren. Sie schwangen Hakenkreuzfahnen und schrien schon heiser „Heil Hitler“, „Sieg Heil“ und anderes.

Auch in der Schule hat sich manches über Nacht verändert. Der Herr Oberlehrer kam in seiner braunen Parteiuniform zum Unterricht, denn er war Ortsgruppenleiter [4] geworden und begrüßte uns Kinder mit lautem „Heil Hitler“. Aus war es mit dem damals üblichen Morgengebet. Aus war es mit dem Slowenischunterricht in der ersten und zweiten Klasse.

Eines Morgens überraschte er uns beim üblichen Morgenappell im Schulhof mit einem Feuer. Während seiner Ansprache zerriss er Bücher und warf sie ins Feuer. Er betonte, dass diese Bücher jüdischen und slawisch-asiatischen Inhalt hätten und der großdeutschen Idee nicht würdig wären. Für uns Kinder war das umso erstaunlicher, weil wir wussten, dass Bücher ja für unsere Verhältnisse viel Geld kosteten. Schulbücher sind ja innerhalb der kinderreichen Familien weitergegeben worden. Man hat sich neue Bücher für jedes Kind einfach nicht leisten können.

In den politischen Stunden hörten wir über den Wert der germanischen Rasse, den Unwert der Juden und den geringen Wert der asiatischen und slawischen Rassen. Auch hörten wir, dass Gegner der Nationalsozialisten in Schutzhaft genommen werden und in Lagern umerzogen werden.

Auf den Tafeln mit den Ortsbezeichnungen, die in unserer Gemeinde am Anfang und Ende des Dorfes an den Häusern angebracht waren, wurden die slowenischen Ortsbezeichnungen übermalt.

Mit Kriegsbeginn im September 1939 wurde alles Slowenische dann endgültig verboten. Auch jedes slowenische Wort in der Kirche und die slowenischen Kirchenlieder wurden untersagt. Außerdem wurden in der Kirche die Fahnen mit den slowenischen Texten entfernt und die slowenischen Untertitel des Kreuzweges übermalt. Ein Schock für alle, weil bei uns verhältnismäßig viele Leute slowenisch sprachen.

Später bei der Einschreibung ins Gymnasium in Villach musste man dann auch seine Muttersprache angeben. Für mich war das eben Slowenisch, was ich auch angab. Daraufhin kam mein künftiger Klassenvorstand zu mir und meinte, wenn ich Slowenisch als Muttersprache angebe, werde ich nicht in die Klasse aufgenommen.

Sorge erfüllte uns Kinder, als der Vater die Schlüssel der örtlichen slowenischen Sparkasse der Gestapo [5] übergeben musste und wir erfuhren, dass alles beschlagnahmt wurde. Zu dieser Zeit wurde auch ein guter Freund des Vaters verhaftet und ins KZ Buchenwald überstellt.

Nach einer Maiandacht, bei der ich damals ministrierte, riss ich auf dem Heimweg ein Plakat mit Kriegspropaganda, „In den Ostwind hebt die Fahnen“ [6] und „Räder müssen rollen für den Sieg!“ [7], von einer Plakattafel. Zu meinem Pech wurde ich vom Gemeindesekretär gesehen. Der meldete es dem Oberlehrer und Ortsgruppenleiter. Dieser verständigte den Gendarmeriekommandanten in Rosegg [8]. Schon am nächsten Morgen vor dem Unterricht kam der Inspektor in unser Haus und wollte immer wieder wissen, ob mich zu dieser „volksschädlichen“ Tat der Pfarrer oder mein Vater angestiftet hatte. Zum Glück war es wirklich meine eigene Lausbüberei. Für mich als 11-Jährigen war das schon etwas komisch, dass der Gendarm nur deswegen mit dem Fahrrad die weite Strecke von Rosegg nach Ledenitzen zu uns gekommen war. Er begleitete mich noch zur Schule, und vor versammelter Klasse wurde mein schändliches Tun auch gehörig getadelt.

Am Palmsonntag 1941, dem Tag des Überfalles auf Jugoslawien [9], wurde auch unser Pfarrer von zwei Gestapo-Männern abgeholt und in das Gefangenenhaus nach Villach gebracht. An diesem Tage wurden 67 slowenische Priester verhaftet und aus den Pfarren in Südkärnten vertrieben. Einige bekamen Gauverweis, etliche kamen ins KZ Dachau, sieben verstarben in Konzentrationslagern. Elf dieser Priester wurden vor einigen Jahren von Papst Johannes [10] als Märtyrer des Glaubens geehrt und bekamen eine Gedenktafel im Dom in Klagenfurt. Auch die slowenischen Schulschwestern in St. Jakob im Rosental und in St. Ruprecht bei Völkermarkt mussten ihre Häuser verlassen bzw. wurden von dort vertrieben. [11]

Von einem Onkel aus der Untersteiermark [12] bekamen wir noch im Herbst 1941 die Nachricht, dass aus einem breiten Streifen an der Grenze zu Kroatien – an die 30 Ortschaften waren betroffen – die slowenischen Leute deportiert wurden. Mehr als 36.000 wurden in Lager ins Deutsche Reich ausgesiedelt, fast 20.000 wurden nach Serbien und Kroatien überführt. Auf ihren Höfen wurden dann die Volksdeutschen aus dem Gottscheer Land [13], ca. 12.000 Leute, angesiedelt. [14]

In der Marburger [15] Diözese blieben nur 71 Priester, und in Oberkrain [16], das auch von den deutschen Truppen besetzt war, blieben in den 133 Pfarren nur 23 ältere Priester, die anderen wurden vertrieben oder kamen in verschiedene KZ. Slowenien wurde unter Deutschen, Italienern und Ungarn aufgeteilt – die Untersteiermark und Oberkrain kamen zu Deutschland, der Rest fiel an Italien und Ungarn.

Die Aussiedlung

Im Februar 1942 hörte mein Vater von einem Bekannten, dass es Pläne oder Gerüchte über eine Aussiedlung von Kärntner Slowenen gäbe. Aber keiner konnte sich so etwas noch während des Krieges vorstellen. Vor allem deswegen, weil die erwachsenen Söhne bei den Soldaten waren, und das an allen Fronten. [17]

Die Vorarbeiten für die Aussiedlung wurden vom damaligen Gaugrenzlandamt unter der Leitung des Standartenführers Maier-Kaibitsch [18] im Einvernehmen mit den Gemeinden, den Bürgermeistern, der Ortsgruppenleitung der NSDAP und der Ortsbauernführung durchgeführt. Ausgesucht wurden überwiegend Familien, deren bäuerliche Anwesen lastenfrei waren und deren Mitglieder in slowenischen Organisationen oder als slowenische Mandatare in der Gemeinde tätig waren.

Ostern war vorüber, und wir hatten am Vortag des 14. April 1942 noch einen Acker mit Kartoffeln bepflanzt. Die bittere Überraschung kam beim nächsten Morgengrauen. Das Weinen und Klagen der Mutter weckte mich aus dem Schlaf. „Wir müssen fort!“, rief sie immer wieder. Aber ich begriff es erst, als ich die zwei Polizisten mit den Gewehren sah und Vater, der halb angezogen aufgeregt mit ihnen stritt: „Sagen Sie mir, was ich verbrochen habe, dass ich fort muss. Das ist ja Wahnsinn, wie soll ich meine 10-köpfige Familie in einer halben Stunde zum Abtransport fertigmachen.“ Einer der Polizisten meinte: „Hätten Sie Deutsch gelernt.“ Da wurde der Vater energisch und sagte: „Sie waren noch in den Windeln, als ich schon Deutsch konnte und Blut fürs Vaterland opferte.“ [19]

Mein jüngster Bruder war fünf Jahre alt und meine älteste Schwester 17. So fingen wir an zu packen – jeder natürlich das, was ihm am liebsten war. Die älteren Geschwister mussten den kleinen Geschwistern ihre Sachen zusammensuchen und ihnen helfen. Zwischendurch sagte uns der Vater immer wieder, dass wir mehrere Sachen übereinander anziehen sollten, denn so könnten wir sie leichter tragen und auch nicht verlieren.

Vor dem Haus stand noch das Fahrrad an der Stelle, wo wir es am Vortag hingestellt hatten, und Vater meinte, ich solle versuchen, den Onkel aus dem Nachbarort zu holen. Es gelang mir, dass ich schnell ums Hauseck bog und trotz der Rufe der Polizisten weg war. So konnte ich dem Onkel die bittere Nachricht überbringen.

Schon waren wir beinahe zum Abtransport fertig. Wir bekamen gerade Metallkennmarken für jeden Einzelnen, als ich bestürzt sah, wie Großmutter vor der Haustüre niederkniete und den Polizisten zurief: „Ihr könnt mich ruhig niederschießen, ich gehe nicht fort!“ „Den Befehl haben wir nicht!“, entgegnete der Polizist. Vater und der Onkel verlangten einen Arzt, denn Großmutter war beinahe 80 Jahre alt und für den Weg ins Unbekannte nicht mehr rüstig genug. Unser Haus aber musste frei gemacht werden. Da Großmutter aber eigentlich nebenan im Haus eines Onkels, der in Amerika war, wohnte, wurde sie als unauffindbar von der Liste gestrichen.

So nahmen wir Abschied von zu Hause. Jeder bepackt mit einem Bündel und der Schultasche voll unserer bescheidenen Habe.

Im Ort vor dem Gasthaus erwartete uns ein Transportwagen, und hier erst sahen wir, dass wir nicht die Einzigen waren. Drei Familien warteten schon auf uns. Aus unserer kleinen Gemeinde waren es sechs Familien und aus der Nachbargemeinde Finkenstein 16 Familien, die ausgesiedelt werden sollten. Als uns das Auto aus der Ortschaft wegführte, rief unser Vater: „Seht, wo wir zu Hause waren, wir wissen ja nicht, wohin sie uns bringen werden und ob wir wieder nach Hause kommen werden!“

So erging es am 14. und 15. April 1942 etwa 200 slowenischen Familien in ganz Südkärnten. Dem Alter nach waren es Säuglinge von 16 Tagen bis zu Greisen von 85 Jahren. Mitnehmen konnte man, so viel man tragen konnte. Polizei und SS-Einheiten [20] holten die Leute aus den Betten, und es wurde ihnen mitgeteilt, dass sie mit der ganzen Familie ausgesiedelt werden und sich binnen einer Stunde zum Abtransport bereit machen müssen.

Als Sammellager diente ein mit Stacheldraht umzäuntes und bewachtes altes RAD-Lager [21] in Klagenfurt [22]. In den Baracken war nichts als eine Spanne [23] Stroh, und diese diente uns als erstes Nachtlager. So saßen oder lagen wir eingeschüchtert und verweint während der ersten Nacht der Vertreibung. Am nächsten Tag mussten die Familienvorstände in einem Protokoll alles angeben, was sie zurückgelassen hatten. Mein Vater musste dann ganz genau angeben, was er mitgenommen und was er zu Hause in seiner Wirtschaft zurückgelassen hatte. Da gibt es ein genaues Übernahmeprotokoll davon – das habe ich mir bis heute aufgehoben. Am späten Nachmittag hieß es in Reihe antreten und fertig machen zum Abtransport. Wiederholtes Aufrufen einzelner Familienangehöriger, wieder Warten und unter Bewachung stilles Schreiten durch die Straße zum Rudolfsbahnhof [24]. Hier wurden wir in Waggons verfrachtet, wieder Warten, und es war schon dunkle Nacht, als uns der Zug in die kalte Fremde entführte.

Über München ging die Fahrt bis Wassertrüdingen in Mittelfranken [25]. Das erste Lager war am Hesselberg [26] (690 m). Es war 10 km von der Bahn entfernt und lag mitten im Wald. Das war auch ein Barackenlager, und in den Räumen der Baracken war Platz für 20 bis 25 Personen. Die Verhältnisse waren schlecht. Es gab kein Wasser zum Waschen. Hesselberg war das größte Lager, in dem Kärntner Slowenen festgehalten wurden. Im Lager waren immer über 300 Personen. Das Lager war überfüllt, und daher ist unsere Familie dann in ein anderes Lager [27] gebracht worden. Dort war es dann besser, es gab richtige Häuser. Die übrigen Vertriebenen wurden auf die Lager Hagenbüchach, Schwarzenberg, Frauenaurach und Rehnitz aufgeteilt. Später wurden noch Lager in Eichstätt, Weisenburg, Rastatt und noch einige mehr eingerichtet. [28] Die Lager waren der SS unterstellt, und jedes unerlaubte Entfernen vom Lager wurde bestraft – in einigen Fällen auch mit der Einlieferung in ein KZ.

Ein Gong rief uns zum Essen in den Aufenthaltsraum, und auch sonst mussten wir unsere Plätze einnehmen, wenn der Gong erklang. Hier wurden auch die Lagerordnung und die Verbote bekannt gegeben sowie die Arbeit im Lager eingeteilt. Jeder musste erscheinen und immer den zugewiesenen Platz einnehmen. Auch zu den Apellen und zur Kontrolle musste man erscheinen.

Die Post musste geöffnet der Lagerleitung abgegeben werden und durfte nur deutsch geschrieben sein. Auch bekamen wir die Post geöffnet und zensuriert. Die slowenischen Briefe aber wurden vernichtet. Einige der Ausgesiedelten wurden bestraft und eingesperrt, da sie Briefe außerhalb des Lagers aufgegeben hatten. Auch durfte der Inhalt der Briefe nicht zu kritisch sein, einer kam wegen eines Briefes sogar ins KZ.

Die Kinder durften keine öffentliche Schule besuchen und auch keinen Beruf erlernen. Es wurde aber eine provisorische Lagerschule eingerichtet. Unterrichtet wurden wir von Eltern anderer Kinder. Fast alle Schulstufen von der ersten bis zur letzten Klasse waren gleichzeitig in einem Zimmer des Lagers. Es gab keine Bücher. So haben wir einfach von Zetteln und Broschüren ein bisschen gelesen, das Rechnen beschränkte sich aufs Zählen und das Schreiben auf kleine Zettel – das genügt schon, hat es geheißen. In den ersten zwei Jahren haben wir Kinder nichts zum Anziehen bekommen, dann habe ich einen Janker [29] bekommen und fand darin eingenäht einen 10-Mark-Schein. Später erfuhr ich, dass das Kleidungsstücke von anderen Gefangenen waren.

Mitte Juni 1942 wurde den Vertriebenen in einem Bescheid mitgeteilt, dass ihr Vermögen wegen „staatsfeindlicher Bestrebungen“ zugunsten des Staates beschlagnahmt wurde, ohne jegliche Verhandlung. Trotzdem wurden alle wehrfähigen Männer zur Wehrmacht eingezogen, eine Verweigerung war Hochverrat. Hernach erfolgte der Arbeitseinsatz aller arbeitsfähigen Männer und Frauen auf verschiedene Posten und zu Bedingungen, die der jeweilige Lagerführer anordnete. Vater musste in einem Sägewerk arbeiten, eine Schwester arbeitete in einer Fischhandlung, die anderen in einer Mineralwasserfabrik in Altdorf, und ich kam im Jänner 1943 in eine Druckerei bei Nürnberg.

Der Lagerführer meinte, wenn ich brav arbeiten würde, könnte ich später in einer Druckerei in der Ukraine Arbeit bekommen. Später im Lager Eichstätt [30] musste auch die Mutter tagsüber arbeiten, und so blieben die vier jüngeren Brüder alleine im Lager. Im Herbst wurden auch die Kinder zu Arbeiten bei den umliegenden Bauern eingeteilt.


In den Jahren 1944/45 wurden einige Familien aus dem Lager entlassen. Sie mussten allerdings Quartier und Arbeit – außerhalb Kärntens [31] – selbst beschaffen. So konnten über 20 Familien auf den Gütern Maresch-Wittgenstein in Niederösterreich [32] als Landarbeiter die letzten Monate des Krieges verbringen. Auch unsere Familie war unter diesen. Ich selber musste jedoch in Eichstätt bleiben und wurde dann zur Flakabwehr [33] eingezogen. Dann wurde ich auch dort entlassen und kam über München zuerst zum Arbeitsdienst an die ungarische Grenze, und dann bin ich zum Militär eingezogen worden. Ich bin aber dann geflohen, versuchte mich dann in den letzten Kriegstagen nicht mehr gefangen nehmen zu lassen, versteckte mich in Kaumberg [34], wo ich bei einer bekannten Familie unterkam, bis der Krieg zu Ende war. Dann bin ich zu meiner Familie, die noch in Niederösterreich war, zurück. Wir versuchten, Verbindungen nach Kärnten zu bekommen, was nicht so leicht war, weil man über die russische Grenze [35] nicht so einfach gelangte. Züge sind keine gefahren. Aber über Slowenien, wo schon ein Konsulat eingerichtet wurde, konnten wir dann letzten Endes doch noch nach Kärnten kommen.

Zurück nach Kärnten kam der Großteil der Familien erst Mitte Juli 1945. Natürlich haben wir erwartet, dass schon etwas wegen unserer Rückkehr vorbereitet war, aber für die damaligen Behörden war unsere Rückkehr eine Überraschung. Von Villach wollte man uns wieder zurück über die Tauern [36] schicken. Erst nach Räumung der Waggons und Übernachtung am Bahnsteig und nach energischem Protest wurden wir nach Klagenfurt in die halb zerstörte ehemalige Jesuitenkaserne überstellt, jedoch dann dort bis zu drei Wochen zurückgehalten, bis die Besitzungen der Vertriebenen wieder frei waren.

Unser Vater musste nach der Rückkehr selbst den Kanaltaler [37], der auf unserem Hofe war, aufsuchen und ihm sagen, dass wir hier sind und unseren Hof wieder übernehmen wollen. Die grundbücherliche Rückerstattung wurde jedoch erst 1948 durchgeführt.

Schon einige Tage nach unserer Vertreibung im April 1942 konnten die Kanaltaler, die sich für eine Rückführung ins Deutsche Reich entschlossen hatten, die Höfe der Vertriebenen ansehen und sich für einen entscheiden. Ihr Eigentum im Kanaltal konnten sie verkaufen oder behalten. Von der Deutschen Umsiedlungsgesellschaft bekamen sie den nötigen Kredit, damit sie die Höfe der Vertriebenen erwerben konnten. Spätestens hier erfuhren sie den wahren Sachverhalt, warum und wie die Höfe mit dem gesamten Viehbestand, mit allen Maschinen und dem Hausrat sowie den Vorräten frei gemacht worden waren. Der Kanaltaler, der auf unserem Hofe war, kehrte schon nach einigen Wochen wieder ins Kanaltal auf seinen Besitz zurück.

Wir waren dann alle heilfroh, dass wir diese Zeit relativ gut überstanden haben, als wir hörten, wie es anderen Familien ergangen war.

[1] Gemeint ist die Zeit des „Anschlusses“. Als „Anschluss“ wird die Annexion Österreichs und dessen Eingliederung in das Deutsche Reich am 13. März 1938 bezeichnet.
[2] Kleinbauer.
[3] Stadel: Scheune, Schuppen.
[4] Vorsteher einer Ortsgruppe der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei).
[5] Abkürzung für Geheime Staatspolizei. Die Gestapo war die Politische Polizei des NS-Staates, und ihre Aufgabe war die Bekämpfung und Verfolgung politischer GegnerInnen.
[6] Textzeile aus dem NS-Propagandalied „Ruf aus dem Osten“ des deutschen Lyrikers und NS-Funktionärs Hans Baumann (1914–1988).
[7] Titel einer Propagandakampagne der Deutschen Reichsbahn, im Rahmen derer die Bevölkerung aufgefordert wurde, zugunsten einer erhöhten militärischen Transportleistung auf Privatreisen zu verzichten.
[8] Ortschaft in der Nähe von Velden am Wörthersee, ca. 6 km von Ledenitzen, dem damaligen Wohnort der Familie Rehsmann, entfernt.
[9] Am 6. April 1941 griff die Deutsche Wehrmacht mit italienischer und ungarischer Unterstützung Jugoslawien und Griechenland an („Balkanfeldzug“).
[10] Johannes Paul II. (1920–2005), Papst von 1978 bis 2005.
[11] Die slowenischen Schulschwestern vom Heiligen Franziskus/Šolske sestre sv. Frančiška waren seit 1890 in Kärnten tätig. Nach der Vertreibung durch die Nationalsozialisten kehrten sie 1945 wieder zurück.
[12] Heute in Slowenien liegendes Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg von Österreich an Jugoslawien abgetreten werden musste. Im Zuge der Besetzung durch die Deutsche Wehrmacht wurde in der Untersteiermark eine systematische Germanisierungspolitik betrieben.
[13] Kočevska (slow.), deutsche Sprachinsel in der damaligen Krain (im heutigen Slowenien), ca. 50 km südöstlich der slowenischen Hauptstadt Laibach (Ljubljana) gelegen.
[14] Die im Gottscheer Land lebende deutsche Volksgruppe wurde zwischen November 1941 und Jänner 1942 in das Gebiet um die Stadt Rann (Brežice) in der Untersteiermark umgesiedelt.
[15] Marburg (Maribor), größte Stadt der historischen Region Untersteiermark, heute zweitgrößte Stadt Sloweniens, an der Grenze zur Steiermark gelegen.
[16] Ein Teil der Krain, an der Grenze zu Kärnten gelegen.
[17] Kärntner Slowenen wurden trotz der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen in die Deutsche Wehrmacht eingezogen.
[18] Alois Maier-Kaibitsch (1891–1958), Kärntner NS-Funktionär und zentrale Figur in der slowenenfeindlichen Politik der Nationalsozialisten.
[19] Der Vater von Franz Rehsmann wurde im Ersten Weltkrieg schwer verwundet, kam in russische Kriegsgefangenschaft und kehrte 1918 nach Hause zurück.   
[20] Die SS („Schutzstaffel“), ursprünglich eine kleine paramilitärische Formation der NSDAP, entwickelte sich zu einer der größten und mächtigsten Organisationen des „Dritten Reichs“ und machte sich im Zweiten Weltkrieg unzähliger Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig.
[21] RAD: Abkürzung für Reichsarbeitsdienst. Jugendliche beiderlei Geschlechts waren während der NS-Zeit zur Ableistung gemeinnütziger Arbeiten u.a. in der Landwirtschaft oder bei Bauarbeiten im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes verpflichtet.
[22] Gemeint ist das Lager Ebenthal. Für die deportierten SlowenInnen wurde im April 1942 in der Gemeinde Ebenthal in der Nähe von Klagenfurt ein Zwischenlager eingerichtet.
[23] Altes Längenmaß.
[24] Heutiger Ostbahnhof in Klagenfurt.
[25] Stadt in Bayern.
[26] Berg in der Nähe von Wassertrüdingen. Der Hesselberg war ein wichtiger Versammlungsort der fränkischen Nationalsozialisten, wo große NS-Kundgebungen stattfanden.
[27] Noch im April 1942 kam Familie Rehsmann in das Lager Hagenbüchach in Bayern, wo sie bis Oktober 1943 bleiben musste.
[28] Insgesamt wurden im Jahr 1942 917 Kärntner SlowenInnen im Zuge der NS-Germanisierungspolitik in diese Lager im Deutschen Reich ausgesiedelt.
[29] Trachtenjacke.
[30] Familie Rehsmann wurde im Oktober 1943 in das Lager Eichstätt in Bayern verlegt.
[31] Für die ausgesiedelten SlowenInnen herrschte in Kärnten Gauverbot, d.h. sie durften während der NS-Zeit nicht nach Kärnten zurückkehren.
[32] Die Familie Maresch-Wittgenstein, die auch in Kärnten Besitztümer hatte, besaß u.a. in der Gemeinde Miesenbach im Piestingtal, Bezirk Wr. Neustadt-Land landwirtschaftliche Güter.
[33] Als Flak wurden die Flugabwehrkanonen bezeichnet; am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden vor allem minderjährige Burschen als Flakhelfer zur Unterstützung der Flaksoldaten herangezogen.  
[34] Ort im Triestingtal im Bezirk Lilienfeld, Niederösterreich.
[35] Von 1945 bis 1955 war Österreich von den vier Besatzungsmächten USA, Sowjetunion, Frankreich und England besetzt. Die sowjetische Besatzungszone umfasste Niederösterreich, Teile Oberösterreichs und das Burgenland. Das Reisen zwischen den einzelnen Zonen war zunächst nur sehr eingeschränkt möglich.
[36] Die Hohen Tauern: in den Bundesländern Salzburg, Kärnten und Tirol gelegene Gebirgsgruppe.
[37] Die Nationalsozialisten hatten im Zuge der „Germanisierung“ des zweisprachigen Gebiets in Kärnten auf den verlassenen Höfen der deportierten SlowenInnen deutschsprachige Bauern aus dem italienischen Kanaltal angesiedelt. Dem war im Jahr 1939 ein Abkommen zwischen Adolf Hitler und dem italienischen Diktator Benito Mussolini vorausgegangen, das die Umsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung Norditaliens (Südtirol, Kanaltal und weitere Regionen) in das Deutsche Reich vorsah.