Friedrich Zawrel

Am Spiegelgrund hörte ich zum ersten Mal: "De Nazi drahn olle Deppatn ham."

Friedrich Zawrel wurde am 17. November 1929 geboren. In schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen, verbrachte er einige Jahre in Kinderheimen und bei Pflegeeltern. 1941 wurde er in die Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" am Steinhof – dem Wiener Zentrum der NS-Tötungsmedizin – eingewiesen, wo kranke und geistig oder körperlich beeinträchtigte, aber auch als "schwer erziehbar" oder "asozial" bezeichnete Kinder eingesperrt bzw. ermordet wurden. Hier traf Friedrich Zawrel zum ersten Mal auf den NS-Arzt Dr. Heinrich Gross. Nach Aufenthalten in weiteren Heimen und schließlich im Jugendgefängnis Kaiserebersdorf erlebte Friedrich Zawrel das Ende des NS-Regimes im Gefangenenhaus Regensburg in Deutschland.

Nachdem Friedrich Zawrel in den 1970er-Jahren wegen kleinerer Eigentumsdelikte angeklagt worden war, begegnete er Dr. Heinrich Gross erneut, der im Nachkriegsösterreich Karriere gemacht hatte und mittlerweile auch als Psychiater und gefragter Gerichtsgutachter tätig war. Friedrich Zawrel wurde aufgrund des Gutachtens von Dr. Gross, der dafür auch Teile aus der Spiegelgrund-Akte von Friedrich Zawrel verwendet hatte, verurteilt und in der Strafanstalt Stein inhaftiert. Mithilfe des Arztes Werner Vogt und der Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin und aufgrund der Aussagen von Friedrich Zawrel  kam es zu einer öffentlichen Debatte und zu zwei Prozessen um die Rolle von Dr. Gross in der NS-Zeit. Erst 1999 wurde gegen Dr. Gross wegen seiner Mitwirkung an der NS-Kindereuthanasie Anklage erhoben. Zu einem Urteil kam es aufgrund des Ablebens von Dr. Gross im Jahr 2005 nicht mehr.

Friedrich Zawrel war 1981 aus der Haft entlassen worden, konnte sich in der Folge ein geregeltes Leben aufbauen und wurde später als Zeitzeuge aktiv. Für seine Bemühungen, die NS-Verbrechen am Spiegelgrund nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wurde er mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien und dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet. Seine Lebensgeschichte wurde in Büchern, Theaterstücken und Filmen verarbeitet.

Am 20. Februar 2015 ist Friedrich Zawrel gestorben. Er wurde in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt.

Der nachfolgende Text wurde dem Nationalfonds von Friedrich Zawrel übermittelt.

 

Mein Name ist Friedrich Zawrel. Ich wurde 1929 als Gastarbeiterkind in Lyon, Frankreich geboren. 1933 musste meine Mutter wegen Arbeitsmangel wieder zurück nach Österreich, in das gleiche Elend, aus dem sie 1929 geflüchtet war. Ich lebte mit meiner Mutter in einer letztrangigen Kellerwohnung, und die schreiende Armut, in der ich damals lebte, ist mit wenigen Worten beschrieben: Wenn ich heute Bilder aus der "Dritten Welt" sehe, erinnert mich vieles an meine ersten Kinderjahre in Kaisermühlen in Wien.

Wegen Mietrückständen wurde meine Mutter 1935 delogiert. Ich kam zu Pflegeeltern nach Kaiserebersdorf. Willkommen war ich dort nicht, aber eine Geldeinnahmequelle, da die Gemeinde Wien für mich Pflegegeld ausbezahlte. Bei meinen Pflegeeltern hörte ich zum ersten Mal, und das schon lange vor 1938, den Namen Adolf Hitler. Bei ihren allabendlichen politischen Gesprächen habe ich den Erwachsenen sehr aufmerksam zugehört, und ein Satz hat sich für immer in mein Gehirn gemeißelt: "Der Hitler räumt jetzt endlich auf mit dem gottverfluchten Gesindel in Deutschland!" Ich kannte damals das Wort "Gesindel" nicht. 1939 habe ich das "Gesindel" kennengelernt.

Von 1939 bis 1945 habe ich in einem Staat gelebt, der von Wahnsinn geprägt war. In dieser Zeit wurde das dunkelste, traurigste und das abscheulichste Kapitel unserer Geschichte geschrieben. Einige Österreicher haben in den Machtzentralen des "Dritten Reiches" an diesem Kapitel mitgeschrieben, und fast alle Österreicher haben dazu beigetragen, dass dieses Kapitel überhaupt geschrieben werden konnte. Ich habe sieben Jahre in einem Staat gelebt, in dem die Freiheit und Würde des Menschen eiskalt und skrupellos zertreten wurde und Menschen schuldig wurden, ohne Schuld, nur aufgrund ihrer Herkunft, ihrer "Rasse", ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder ihrer geistigen oder körperlichen Behinderung. Diese […] benachteiligten Menschen waren im "Dritten Reich" "unnütze Esser" und den braunen Herrenmenschen keinen Teller Suppe mehr wert. Sie gehörten zum "unerwünschten Volksgut". Diese schuldlosen Menschen wurden im "Dritten Reich" wie Ungeziefer vergast und wie Abfall verbrannt. Das Unfassbare ist: Das ist in Deutschland geschehen, im Land der Dichter und der Denker. Und: Das ist in Österreich geschehen, im Land "der Tänzer und der Geiger", wie Anton Wildgans Österreich in seinem Gedicht "Das große Händefalten" [1] nennt.

Das Entsetzlichste ist: Diese grauenhaften Verbrechen, die hat der Mensch getan, der Mensch – die Krone der Schöpfung.

Zu diesem ungeheuerlichen Zivilisationsbruch sagte der zweite Mann im "Dritten Reich", Reichsmarschall Hermann Göring: "Wir haben hier nicht Menschlichkeit oder Gerechtigkeit zu üben, sondern zu sichten, zu vernichten, auszurotten - und sonst nichts." [2] Mord und Totschlag – das Fundament eines Staates, der tausend Jahre bestehen sollte.

Dem Wüten der nationalsozialistischen Menschheitsgeißel wurde 1945, nach einem beispiellosen Vernichtungskrieg, ein Ende gesetzt. Seither leben wir in einem demokratischen Rechtsstaat. Die Freiheit und die Würde des Menschen sind unantastbar, und beispielgebend unsere sozialen Errungenschaften.

Warum reden wir dann noch immer, nach einer 65-jährigen Vergangenheit, über diese unheilvolle und gnadenlose Zeit? Weil sie noch immer sichtbar sind, die Schatten der Hakenkreuze, deswegen sollen alle, vor allem junge Menschen, erfahren, was unterm Hakenkreuz geschehen ist, denn bald wird es keinen mehr geben, der über dieses Inferno aus eigenen Erlebnissen berichten kann.

Adolf Hitler hat uns gezeigt, wie rasend schnell ein Volk durch rechte Ideologien radikalisiert werden kann und wohin es führt, wenn Macht und Größenwahn die Menschen und ganze Völker trennen.

Über diese unheilvolle Zeit des Nationalsozialismus zu sprechen, ist nicht leicht. Es gibt keine Worte, um das Erlebte auch nur annähernd wiedergeben zu können. Die entsetzlichen Verbrechen, die damals geschehen sind, will heute niemand mehr glauben. Für die nach Hitler Geborenen ist es nicht vorstellbar, dass ihre Großväter und Urgroßväter Bürger eines Unrechtsstaates waren, der das blutigste Inferno der Weltgeschichte ausgelöst hat. Das "Dritte Reich" aber bestand nicht nur aus der Person Adolf Hitler, einigen Blutordensträgern [3], der SA oder der SS-Elite. Das "Dritte Reich" bestand aus einem 75-Millionen-Volk, welches mit überwältigender Mehrheit und mit enthusiastischer Begeisterung – das habe ich als Neunjähriger in Österreich erlebt – hinter dem Gründer des "Dritten Reiches", dem Österreicher Adolf Hitler, stand, der nach einer siebenjährigen Staatenlosigkeit – Hitler hatte 1925 die österreichische Staatsbürgerschaft zurückgelegt – erst 1932, also ein Jahr vor seiner Machtübernahme, in Deutschland eingebürgert wurde.

Der "Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland war, ich habe es nicht anders erlebt, ein riesiges Volksfest und seine Ankunft in Wien ein beispielloser Triumphzug. Wien war ein Meer von Hakenkreuzfahnen. Auch von allen Kirchtürmen wehten die Hakenkreuzfahnen, und als er in die Stadt einzog, läuteten alle Kirchenglocken. Von den Menschen war der nicht enden wollende Schrei zu hören: "Ein Volk, ein Reich, ein Führer!"

Ich habe Adolf Hitler, den Mann aus Braunau, der seine Heimat an den Rand des Abgrunds brachte, im März 1938 zum ersten und letzten Mal gesehen.

Der Anschlussbegeisterung folgte bald die Ernüchterung. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Wien die Tempel und Synagogen. [4] In Wien begann die Judenverfolgung. Ihre Geschäfte und ihre Wohnungen wurden geplündert. Von den Schulen und Universitäten wurden sie verjagt und vom öffentlichen Leben total ausgeschlossen. 1941 wurden sie mit dem Davidstern [5] gebrandmarkt, erbarmungslos, auch Kinder ab dem sechsten Lebensjahr. Auf den Parkbänken war zu lesen: "Nur für Arier, für Juden verboten." Der Regen spülte im Laufe der Zeit diese Kulturschande von den Parkbänken, an die sich nach 1945 keiner mehr erinnern konnte. Auch die verängstigten kleinen Kinder mit dem gelben Stern waren aus dem Gedächtnis verschwunden. […]

In meinem Klassenzimmer hing ein großes Kruzifix. Damals beteten wir vor und nach dem Unterricht ein Vaterunser. Das war, bevor Adolf Hitler kam. Kurz nach dem "Anschluss" an Hitlerdeutschland nahm der Schuldiener das Kruzifix vom Haken und hängte ein übergroßes Hitlerbild an seine Stelle. Jesus Christus wurde zerschlagen und in einem Müllwagerl aus dem Klassenzimmer gekarrt. Ab diesem Tag wurde unser tägliches Vaterunser auf zwei Worte reduziert: "Heil Hitler!"

Im Haus meiner Pflegeeltern gab es noch keinen Strom. Ihr Radio wurde mit einem Akku betrieben. Meine Aufgabe war es, den leeren Akku gegen einen vollgeladenen beim alten Elektriker in Schwechat umzutauschen. Für mich eine Schwerarbeit. Ich ging aber gern zum alten Elektriker nach Schwechat, denn er war einer der ganz wenigen Menschen, die in meinen Kinderjahren gut zu mir waren.

Ich musste wieder einmal den Akku tauschen und ging, so wie immer, zum alten Elektriker nach Schwechat. Schon von weitem sah ich, dass viele Menschen vor dem Geschäft versammelt waren, und was ich jetzt sah, gehört zu den traurigsten Erinnerungen aus meiner Jugendzeit im Nationalsozialismus. Der alte Mann hatte seine Hände über dem Kopf verschränkt, und zwei SA-Männer prügelten ihn in Richtung Hauptplatz, begleitet von
Beschimpfungen, Spott und Hohngelächter der Ostmärker. Eine Frau schrie: "Was hat er denn getan, der alte Schwarz?" Ein Zivilist mit Hakenkreuzarmbinde gab ihr die Antwort: "No, a Saujud is a, und jetzt wird Schluss g'mocht mit dem schäbig'n G'sindl." Jetzt wusste ich, wer damals bei den politischen Gesprächen mit "Gesindel" gemeint war.

Ich werde immer dafür dankbar sein, dass ich dem "gottverfluchten Gesindel" begegnet bin, in einer Zeit, die keine Gnade kannte und in der die braunen Herrenmenschen die Menschlichkeit zertreten haben, unterm Hakenkreuz.

Um den Anfeindungen der arischen Herrenmenschen zu entgehen, verdeckten immer mehr jüdische Frauen und Mädchen den gelben Stern mit ihren Handtaschen. Die Hitlerjugend [HJ] wurde zum Streifendienst beordert, und die Jungen waren entsetzlich grausam, wenn sie fündig wurden. Ich beobachtete, wie sie ein kaum 18-jähriges Mädchen spitalsreif schlugen. Sie fragte die drei HJ-ler: "Was habe ich euch denn getan?" In meiner Erinnerung werden ihre Worte zu einem verzweifelten Schrei, wenn ich sehe, dass Jugendliche die Hand zum Hitlergruß erheben, Naziparolen brüllen oder deutsche Kampflieder singen. Die zwei SA-Männer, der Mann mit der Hakenkreuzarmbinde, die drei von der Hitlerjugend, aber auch die Menschen, die mit ihrem Gespött und Hohngelächter die Verfolgten gedemütigt haben, sollen endlich wahrnehmen, dass es ein gigantischer Unterschied ist, ob man als "brauchbarer, wertvoller, arischer Volksgenosse" das "Dritte Reich" und den Krieg überlebte oder als "unbrauchbarer, wertloser, verfremdeter Untermensch" Auschwitz.

1939 ordnete das Reichsjugendamt an, dass ich wieder zu meinen leiblichen Eltern musste. Ich war damals zehn Jahre alt und begegnete zum ersten Mal meinem Vater. Ein Fremder. Er blieb es auch.

Ich ging damals in der Hörnesgasse zur Schule. Mein Klassenvorstand war ein fanatischer Nationalsozialist. Die meisten meiner Mitschüler kamen in der HJ-Uniform zum Unterricht. Ich war der einzige, der nicht bei der HJ war.

Angestrebtes Ziel meiner Mitschüler war die Aufnahme in die AHS. In die AHS konnte man sich nicht einschreiben lassen, man wurde durch die Gauleitung der HJ berufen. Nur wenige schafften die Aufnahmekriterien wie einwandfreie Rassenreinheit, sportgestählter Körper, frei von Mitleids- und Humanitätsgefühlen, und die Eltern mussten Mitglieder der NSDAP sein. Intellektuelles Wissen hatte keine Priorität. AHS war damals die Abkürzung für Adolf-Hitler-Schule. [6]

Auch ich wollte in die Hitlerjugend. Ich habe darüber mit meiner Mutter gesprochen. Bei diesem Gespräch erfuhr ich, was meine Mutter schon lange wusste: "Du darfst nicht zur Hitlerjugend, du bist von der Hitlerjugend ausgeschlossen." Damals gab es für einen Jugendlichen keine größere Schande, als von der Hitlerjugend, der "Jugend des Führers", ausgeschlossen zu sein.

Mein Vater war aufgrund seines Vorlebens für wehrunwürdig erklärt worden. Er war Schwerstalkoholiker und mehrfach vorbestraft. Ich wurde als "erblich schwerstens belastet" eingestuft und war deswegen "minderwertig für die Volksgemeinschaft". Die braunen Herrenmenschen haben mein Leben zerstört, das kaum begonnen hatte. Ich bin jetzt 81 Jahre alt und weiß nicht, wie es ist, betrunken zu sein. Wir aber gehörten im "Dritten Reich" zum "unerwünschten Volksgut".

In der Schule wurde meine Lage von Tag zu Tag unerträglicher. Wie sollte ich meinen fanatischen Mitschülern meine Situation begreiflich machen? Mein Schweigen verschlimmerte meine Situation bis zur Unerträglichkeit. Sie sagten, ich sei ein "Jud". "Stimmt nicht", sagte ein anderer, "da wäre er schon längst in einem KZ." Was die Erwachsenen angeblich nicht wussten, wussten meine Mitschüler, dass es Konzentrationslager gab für die im "Dritten Reich" unerwünschten Menschen.

Ich hatte Angst vor meinem Klassenvorstand. Weit mehr fürchtete ich aber meine Mitschüler. Ich beschloss, die Schule in der Hörnesgasse nie wieder zu betreten. Zum letzten Mal las ich auf dem Transparent im Stiegenhaus, wie sich Adolf Hitler seine Jugend vorstellte: "In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine starke, eine unerschrockene, eine furchtlose und eine grausame Jugend will ich. An meiner Jugend darf nichts Zärtliches sein. Ich will in den Augen meiner Jugend den Stolz und die Unabhängigkeit der Raubtiere funkeln sehen. Nur so kann ich das Neue schaffen." [7]

Meine Schulbesuche täuschte ich meiner Mutter vor. Stattdessen streunte ich vormittags durch Wien.

In Wien wurden die mit dem gelben Stern Gebrandmarkten immer weniger. Man begegnete nur mehr wenigen, die so gezeichnet waren. Und wo sind die anderen geblieben? Ich habe nie gehört, dass auch nur einer danach gefragt hätte.

In der Konferenz von Berlin-Wannsee, am 20. Jänner 1942, wurde die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen. [8] Der Beginn der industriemäßigen Vernichtung des jüdischen Volkes.

Und die "Jugend des Führers", diese gutgläubige, Adolf Hitler so treu ergebene Jugend, sie wurde belogen und betrogen, ihrer Kindheit und Jugendzeit beraubt, für verbrecherische Ideologien missbraucht und letztendlich in einen schon längst verlorenen Krieg und in einen sinnlosen Tod getrieben. 30.000 Angehörige der Hitlerjugend verloren in den letzten Kriegsmonaten ihr Leben. Keiner war älter als 18 Jahre. Reichsjugendführer Baldur von Schirach [9] sagte vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal: "Dass ich die deutsche Jugend für einen vielfachen Millionenmörder erzog, zum bedingungslosen Gehorsam und zur bedingungslosen Treue, ist vor Gott und dem deutschen Volk meine Schuld." [10]

In einer Schule begann mein Weg durch die NS-Erziehungsanstalten und führte durch die "Nervenklinik für Kinder", eine Reichsausschussabteilung zur Erforschung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden, [11] auf der Baumgartner Höhe, dem heutigen Otto-Wagner-Spital. Diese Klinik war die zweitgrößte Tötungsanstalt für "unbrauchbare" Kinder und Jugendliche im "Dritten Reich". [12]

1942 wurde ich wegen Fernbleibens vom Unterricht, wegen gemeinschaftsunfähigen Verhaltens und der Erziehungsunfähigkeit meiner Eltern in die "Jugendfürsorgeanstalt" auf dem Spiegelgrund gebracht. Diese war ebenfalls auf dem Gelände des Otto-Wagner-Spitals untergebracht. In der Fürsorgeanstalt begegnete ich zum ersten Mal meinem Schicksalsarzt: Dr. Heinrich Gross [13].

Ich wurde von Dr. Gross untersucht, gemessen, gewogen, fotografiert und in einer unterrichtslosen Abteilung untergebracht. Dr. Gross hat mich damals für immer vom Unterricht ausgeschlossen.

Am Spiegelgrund hörte ich auch zum ersten Mal: "De Nazi drahn olle Deppatn ham." Mehr als 300 kranke Menschen wurden vom Steinhof, dem heutigen Otto-Wagner-Spital, nach Hartheim gebracht und getötet. [14] Ärzte und Krankenpfleger wurden von einem Tag auf den anderen willfährige Helfer einer gigantischen Mordmaschinerie.

Ich kam für ein paar Tage in eine Anstalt, in der nur Kinder von schweren Alkoholikern oder Schwerkriminellen untergebracht wurden. Diese Kinder waren als "erblich schwerstens belastet" eingestuft und "minderwertig" aufgrund ihrer Herkunft. Seit damals weiß ich, dass man schuldig werden kann – ohne Schuld.

1942 wurde ich in das psychiatrische Krankenhaus nach Ybbs an der Donau in eine Jugendabteilung, eine Außenstelle vom Spiegelgrund, verlegt. Die Jugendabteilung war durch eine massive Eisengitterwand von den Räumlichkeiten der Erwachsenen getrennt. Hinter dem Eisengitter waren zusammengepferchte Menschen. Der Spiegelgrund fiel mir wieder ein. Ein erschreckender Anblick. Von diesem Tag an war die Angst mein ständiger Begleiter, bis 1945. Ein Mensch streckte mir seine Hände durch die Gitterstäbe entgegen, faltete sie wie zu einem Gebet und schaute mich wortlos an. Ich wusste nicht, was er wollte. Nachdem ich ihm länger beim Gestikulieren zugeschaut hatte, verstand ich seine Bitte um Brot. Trotz strengstem Verbot habe ich diesem Menschen alle Brotreste gebracht, die ich in der Jugendabteilung finden konnte. Im "Dritten Reich" waren diese vom Leben so schwer benachteiligten Menschen "unnütze Esser". Humanität und Barmherzigkeit kannte man nicht unterm Hakenkreuz.

Mit den paar Brotresten, die ich dem Menschen gab, habe ich ein Schreien ausgelöst, dass nicht nachzuahmen ist. Heute weiß ich, dass ich ihn schreien hörte, den Kranken, den entwürdigten Menschen, der sein Schicksal ahnte oder vielleicht schon wusste. Wegen dieser "Untat" prügelten mich zwei "Krankenpfleger" spitalsreif. Sie stießen mich über eine eiserne Wendeltreppe in den so genannten "Zellentrakt". Sie prügelten mit ihren Schlagstöcken mein Gesäß wund und sperrten mich in eine Zelle, in der auch das Bett aus Beton war. Ich hatte schlimme Schmerzen und habe nur geheult. Ich war damals 13 Jahre alt. Der Anstaltsarzt verweigerte jegliche ärztliche Hilfe und sagte: "Das heilt schon wieder. Jetzt wirst du dir merken, dass es verboten ist, was du getan hast." Ich habe einem kranken Menschen ein paar Brotreste gegeben – eine Untat unterm Hakenkreuz. Ich wurde auf die Abteilung für Jugendliche zurückgebracht, und der Raum hinter der Gitterwand war leer.

Ybbs gehört zu den traurigsten Erinnerungen an meine Jugendzeit im Nationalsozialismus. Dokumentiert ist: Die im psychiatrischen Krankenhaus Ybbs an der Donau untergebrachten Menschen wurden in Hartheim in Oberösterreich getötet. [15] 1942 wurde das Krankenhaus in Ybbs von der Wehrmacht als Lazarett beschlagnahmt.

Ich kam in die NS-Erziehungsanstalt Mödling [16] und wurde in der Strafgruppe untergebracht. Kriegsversehrte der Wehrmacht und der Waffen-SS waren meine Erzieher. Es herrschten dort eiserne Disziplin und widerspruchsloser Gehorsam. Anordnungen und Aufforderungen durften nur in strammer Haltung und mit einem gebrüllten "Jawohl!" zur Kenntnis genommen werden. Der Tagesablauf dort war wie folgt: Frühsport bis zur Erschöpfung, Verrichten der hausinternen Reinigungsarbeiten, Ernteeinsatz in Biedermannsdorf und Umgebung, in Dreierreihe marschieren und deutsche Kampf- oder Soldatenlieder singen, 18 bis 20 Uhr politische Schulung, 20 Uhr Nachtruhe. Ein Horror waren die politischen Schulungen. Hauptthema war "Hitler und das Dritte Reich". Ich wurde von der Hitlerjugend ausgeschlossen, musste aber trotzdem an den politischen Schulungen teilnehmen. Die Frage nach dem Warum wird nie mehr beantwortet werden.

Die Prüfungsfragen wurden nur nachts gestellt. Eine falsche oder zögernde Antwort hatte die so genannte "Raffeisiade" zur Folge, eine sadistische Erziehungsmaßnahme eines Erziehers, der Ferdinand Raffeis hieß. Ich habe die Frage "Wie hieß die Mutter des Führers mit ihrem Geburtsnamen?" mit "Klara Pölzlinger" statt richtigerweise mit "Klara Pölzl" beantwortet. Damit habe ich eine Raffeisiade verschuldet, die nun an der ganzen Gruppe vollzogen wurde.

Ab diesem Tag ist mir alles gleichgültig geworden. Ich verweigerte Gehorsam und die Essensaufnahme, und ich dachte, dass es nirgendwo schlimmer sein könnte. Ich habe mich in meinem Leben oft geirrt. Auch das war ein Irrtum.

Als eine Reihe von sadistischen Sondererziehungsmaßnahmen wirkungslos blieben, ordnete der Anstaltspsychiater Winkelmaier meine Einweisung in die "Nervenklinik für Kinder" auf der Baumgartner Höhe an, wie man die Euthanasieklinik bezeichnete.

Das war im Jänner 1943. Der Haupteingang war damals genau so wie heute. Die Fürsorgeanstalt fiel mir ein und der Satz: "De Nazi drahn olle Deppatn ham." Ich hatte unbändige Angst. Ich hielt mich an den Gitterstäben fest. Zwei "Pfleger" kamen den Erziehern zu Hilfe, drehten mir die Hände auf den Rücken und zerrten mich auf den Pavillon 17. Nach 1945 werden alle sagen: "Wir haben nur unsere Pflicht getan." Ärzte und Krankenpfleger haben es sich zur Pflicht gemacht, kranke Kinder zu quälen und zu töten. Und sie werden sich für ihre Pflichterfüllung nicht einmal schämen, nach 1945.

Meine Erziehbarkeit und mein "Wert für die Volksgemeinschaft" sollten durch den Leiter der Klinik, Obermedizinalrat Primarius Dr. Ernst Illing, einen T4-Gutachter, [17] festgestellt werden. Einspruchsrecht gegen seine Gutachten gab es nicht. Sie hatten sofortige Rechtskraft. Ich hatte schreckliche Angst vor seinem Urteil "nicht mehr erziehbar".

Ein solches Urteil hätte zur Folge gehabt, dass ich in ein Jugendkonzentrationslager eingewiesen worden wäre. Burschen kamen nach Moringen, Mädchen nach Uckermark. [18] Überlebte ein Jugendlicher trotz unmenschlicher Behandlung einen gewissen Zeitraum, war eine Entlassung auf Bewährung möglich. Nur wenige überlebten die Hölle der Jugendkonzentrationslager – "Vernichten durch Arbeit". Auch das geschah – unterm Hakenkreuz.

Mein Fluchtversuch aus dieser Klinik ist gescheitert. Mit einem Spitalsnachthemd und Hausschuhen bekleidet, wurde ich in eine leere Zelle gesperrt. Essen musste ich stehend oder auf dem Boden sitzend. Um jedes Glas Wasser musste ich bitten. Grausam war, dass das massiv vergitterte und abgesperrte Zellenfenster zudem noch Milchglasscheiben hatte. Durch einen kleinen Riss in einer der Milchglasscheiben habe ich einen Abtransport von Kinderleichen aus dem Pavillon 15 gesehen.

Ich wurde einigen fürchterlichen "Behandlungen" unterzogen: Niederhalten, Wickel und Wasserbehandlungen, Schädelröntgen, Brechreizinjektionen; auch wurden mir die verschiedensten Medikamente verabreicht.

Ab 14 Uhr herrschte auf Pavillon 17 eine angstmachende Stille. Um diese Zeit wurden die zur Tötung vorgesehenen Kinder oder Jugendlichen auf Pavillon 15 verlegt. Denn nur auf Pavillon 15 wurde getötet.

Ich wurde um 14 Uhr auf Pavillon 15 gebracht. Wie mir damals zumute war, dafür gibt es keine Worte. Ich habe an meine Mutter gedacht, und mein 14-jähriges Leben – ein Trümmerhaufen – raste an mir vorbei.

Ich wurde splitternackt in einen Vortragsraum geführt, der mit lauter Krankenschwesterschülerinnen gefüllt war. Dr. Illing zeigte an mir seinen Schülerinnen die sichtbaren Merkmale meiner "erbbiologischen und soziologischen Minderwertigkeit" auf. Ich wollte vor Scham in der Erde versinken.

Ich bin sehr religiös erzogen worden, in den ersten zwei Schuljahren und durch meine Pflegegroßmutter. Sie erzählte mir viel vom Lieben Gott und Jesus Christus. Sie brachte mir auch das Vaterunser bei. Ich habe den Lieben Gott um so vieles gebeten, in meiner Kindheit
und Jugendzeit, erfüllt hat er mir keine Bitte. Auch meine letzte Bitte hat er nicht gehört: "Das Leben, das du mir gegeben hast, ertrage ich nicht mehr, bitte beende endlich dieses grausame Tun." Heute bitte ich ihn um nichts mehr.

Seinen Vortrag schloss Dr. Illing immer mit den Worten: "Die Fortpflanzung solcher Kreaturen verschmutzt deutsches Blut." Der Schlag mit dem Zeigestab hat ein bisschen wehgetan. Ich sollte den Vortragssaal verlassen. Hundert Mal mehr wehgetan aber hat das herzliche Lachen der Mädchen hinter mir.

Ich habe viele Jahre kein Mädchen lachen hören können, denn dann wurden sie wieder lebendig, die Erniedrigungen und Demütigungen von damals. Hitler wünschte sich eine grausame Jugend. Ich bin ihr begegnet – unterm Hakenkreuz – in der Schule in der Hörnesgasse und in der Euthanasieklinik auf der Baumgartner Höhe.

Anlässlich einer ärztlichen Visite habe ich Dr. Illing um eine Besuchserlaubnis für meine Mutter gebeten und um Bücher. Ich habe diesen Menschen angefleht: "Bitte befreien Sie mich von den Milchglasscheiben, dass ich wenigsten sehen kann, ob der Himmel da draußen blau oder grau ist. Wenn ich noch lange in dieser Zelle bin, werde ich noch deppat!" Der Sachse äffte meinen Wiener Dialekt nach und sagte: "Deppat wirst du nicht, deppat bist du schon. Knie dich nieder!" Mit zwei Ohrfeigen beendete ein akademisch gebildeter Arzt seine ärztliche Visite – unterm Hakenkreuz.

Dr. Illing erklärte mich für einen nicht mehr erziehbaren Jugendlichen mit staatsfeindlicher Einstellung. Dadurch wäre mein Weg durch die Hölle im "Dritten Reich" besiegelt gewesen, hätte Adolf Hitler den Zweiten Weltkrieg gewonnen.

Am 21. März 1944 sollte ich von der Polizei abgeholt werden. Eine Krankenschwester verhalf mir zur Flucht.

Nach Eintritt der kriegsbedingten Verdunkelung habe ich mich mehrmals mit meiner Mutter am Rochusmarkt getroffen. Sie hat mich, so gut sie konnte, unterstützt, doch ich merkte ihre immer größer werdende Angst. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, aber im Stillen habe ich mich damals von meiner Mutter verabschiedet. Erst zweieinhalb Jahre später habe ich meine Mutter wiedergesehen.

Ich irrte kreuz und quer durch Wien. Ich hatte keine Lebensmittelkarten, ich hatte kein Geld, und der Hunger wurde immer stärker. Ich habe am Nordbahnhof ein kleines Paket mit Esswaren gestohlen. Ich wurde noch am Bahnhof verhaftet. "Diebstahl von Lebensmitteln unter Ausnützung der kriegsbedingten Verdunkelung", schrieb der Staatsanwalt in seiner Anklage vor dem NS-Jugendgericht.

Ich war 15 Jahre alt. Nicht vorbestraft. Der Wert der Lebensmittel betrug ungefähr zehn Euro nach heutiger Währung. Mein Urteil: vier Jahre strenger Jugendarrest.

Ich war bis 3. April 1945 im NS-Jugendstrafvollzug in Kaiserebersdorf. Der Jugendstrafvollzug war hart und grausam. Die Justizwachebeamten waren durchwegs Österreicher. Unmenschlichkeit war für sie Pflichterfüllung. Für die an den Jugendlichen begangenen Verbrechen hat es in der Zweiten Republik keine Sühne gegeben. Am 3. April 1945 wurde eine größere Anzahl Jugendlicher zur Donau getrieben und in Schleppkähne verladen. Eine fast dreiwöchige Schreckensfahrt begann, die viele Jugendliche nicht überlebten. Der Rest der halbverhungerten Jugendlichen kam in das Kriegsgerichtliche Gefangenenhaus in Regensburg. Ich war unter ihnen.

Mai 1945: Amerikanische Soldaten öffneten die Zellentüren, und sie durften nicht mehr von deutschen Justizbeamten verschlossen werden. Ich bin vor der unversperrten Zelle am Boden gesessen und alles kam mir so unwirklich vor. Erst als amerikanische Sanitäterinnen kamen und ofenwarme Krapfen, in Seidenpapier gewickelt, verteilten und in großen Bechern heißen Kakao, begann ich den Beginn einer neuen Zeit zu ahnen. Ich war von dem Geschehenen so ergriffen, diesen ersten helfenden Menschen, dass ich nicht "Danke" sagen konnte. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Helfende Menschen, unversperrte Zellentüren, in Seidenpapier gewickelte Krapfen und heißer Kakao – jahrelang habe ich nur von trockenem Brot fantasiert. Diesen Tag zähle ich zu den wenigen glücklichen Tagen in meinem Leben, denn an diesem Tag wusste ich: "Hitlerdeutschland gibt es nicht mehr."

1945. Das "Tausendjährige Reich" war ein zerbombter, brennender Trümmerhaufen. Die Menschen, die einmal Adolf Hitler zugejubelt hatten, irrten durch ihr verbranntes Land, verzweifelt und hoffnungslos. Kaum eine Familie, die nicht Tote zu beklagen hatte. In den Städten kaum eine Familie, die nicht ihr ganzes Hab und Gut verloren hatte. Auch die vielen Toten nach 1945, Verhungerte, Erfrorene, Kranke ohne jede ärztliche Hilfe hätte Adolf Hitler zu verantworten gehabt. Durch Selbstmord entzog er sich dem Gericht der Völker.

Trotz dieses beispiellosen Infernos rufen heute Menschen, und nicht wenige, nach einem Adolf Hitler. Oft hört man, "Do gʹhört nur da Hitler her", wenn von Obdachlosen, Sucht- und Alkoholkranken oder behinderten Menschen die Rede ist. Von solchen Menschen wünsche ich mir, dass sie so lange schweigen, bis sie wissen, worüber sie reden. Wenn ich Lobreden über Hitler höre, wird mir heute noch eiskalt. Ich höre dann noch immer das immer leiser werdende Weinen der kranken Kinder, die auf der Kinderfachabteilung auf der Baumgartner Höhe, auf den Balkonen der Pavillons der Winterkälte ausgesetzt waren, bis Minusgrade ihr kurzes, geschändetes, für "medizinische Zwecke" missbrauchtes Leben beendeten. Akademisch gebildete Menschen haben diese Tötungsart von "wertlosem und unbrauchbarem" Leben angeordnet, und das Krankenpersonal war willfähriger Helfer. Das ist in Wien auf der Baumgartner Höhe geschehen – unterm Hakenkreuz. Und auf der Baumgartner Höhe bin ich ihr begegnet, der Bestie Mensch. Sie war blendend weiß gekleidet und trug Stethoskope.

Unter das Nachdenken und Reden über die unheilvolle Zeit des Nationalsozialismus darf es keinen Schlussstrich geben. Der Nationalsozialismus war ein Verbrechen. Seine Opfer dürfen nicht Opfer unserer Vergesslichkeit werden.

Am Ende der Wegstrecke des Nationalsozialismus steht in meiner Vorstellung das unfassbarste Mahnmal der Weltgeschichte. Errichtet aus 60 Millionen ermordeter, im Bombenhagel erschlagener und im beispiellosen Vernichtungskrieg gefallener Menschen. Aufgestapelt zu einem Berg, der auch ein Gipfelkreuz trägt: das Hakenkreuz. Denken Sie daran, wenn Sie ein Hakenkreuz sehen, vom Nationalsozialismus hören oder den Namen Adolf Hitler.

Die Wunden, die mir die nationalsozialistische Menschheitsgeißel schlug, sind längst vernarbt. Bis an mein Lebensende bleibt die traurige Erinnerung an eine von Macht und Rassenwahn geprägte Zeit und das erschreckende Wissen, dass der Mensch dazu fähig ist, abzusteigen in die tiefsten Tiefen der Unmenschlichkeit.

Ich wünsche Ihnen viel Glück und viel Erfolg auf Ihrem weiteren Lebensweg, verbunden mit der Bitte: Begegnen Sie allen Menschen vorurteilslos, und ehren Sie auch fremden Glauben. Ich weiß nicht, wer diese nachfolgenden Worte geschrieben hat. Bitte nehmen Sie sie mit und erinnern Sie sich hin und wieder an sie:

Der Erfolg in deinem Leben
wird nicht daran gemessen werden,
wie viel du erreicht hast,
sondern daran, wie vielen Menschen
es besser geht,
weil du gelebt hast.

[1] Anton Wildgans, Das große Händefalten. Ein Gebet für Österreichs Volk und Kämpfer, Wien 1914.
[2] Im Zuge einer nationalsozialistischen Kundgebung vor den Reichstagswahlen am 3. März 1933 verkündete Hermann Göring in Frankfurt am Main als damaliger kommissarischer preußischer Innenminister im Bezug auf die Kommunistische Partei Deutschlands: "Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts!" Zit. n. Hermann Göring, Reden und Aufsätze, hrsg. v. Erich Gritzbach, München 1938, S. 27.
[3] Der so genannte Blutorden bzw. das "Ehrenzeichen des 9. November 1923", das an den (erfolglosen) Hitlerputsch im Jahr 1923 erinnern sollte, wurde an besonders verdiente Nationalsozialisten verliehen.
[4] Im Zuge des Novemberpogroms 1938, euphemistisch auch "Reichskristallnacht" genannt, wurden im Deutschen Reich über 1.400 Synagogen bzw. Betstuben sowie zahlreiche jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe zerstört. Hunderte Jüdinnen und Juden wurden ermordet, rund 30.000 in Konzentrationslagern inhaftiert.
[5] Gemeint ist der "Judenstern" oder aufgrund der Farbe auch "gelber Stern" genannt, der in seiner Form dem Davidstern – dem Symbol des Volkes Israel bzw. des Judentums – nachempfunden war.
[6] Neben den so genannten Nationalpolitischen Lehranstalten (NPEA bzw. Napola), die dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterstanden, waren auch die von NSDAP bzw. HJ sowie der Deutschen Arbeitsfront betriebenen Adolf-Hitler-Schulen als elitäre Internatsschulen zur Heranbildung einer künftigen nationalsozialistischen Führungsschicht gedacht.
[7] Hitler formulierte seine Ziele zur Erziehung der Jugend folgendermaßen: "In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. […] Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus ihren Augen blitzen. […] So kann ich das Neue schaffen." Zit. n. Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich/Wien/New York 1940, S. 237.
[8] Bei der so genannten Wannseekonferenz, an der unter dem Vorsitz des Stellvertretenden Reichsprotektors von Böhmen und Mähren und Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich Vertreter der deutschen Regierung und der SS teilnahmen, wurde die bereits beschlossene "Endlösung der Judenfrage", also die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden, organisiert und koordiniert.
[9] Baldur von Schirach war von 1933 bis 1940 Reichsjugendführer und danach Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien.
[10] Baldur von Schirach verteidigte sich im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher am 24. Mai 1946 unter anderem folgendermaßen: "Ich habe diese Generation im Glauben an Hitler und in der Treue zu ihm erzogen. […] Es ist meine Schuld, die ich fortan vor Gott, vor meinem deutschen Volk und vor unserer Nation trage, daß ich die Jugend dieses Volkes […] erzogen habe für einen Mann, der ein millionenfacher Mörder gewesen ist." Zit. n. Whitney R. Harris, Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946, Berlin 2008, S. 449.
[11] Der "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden", eine Tarnorganisation zur Verschleierung der Ermordung von geistig und körperlich beeinträchtigten Kindern, organisierte die Kindereuthanasie.
[12] Auf dem Gelände der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" auf der Baumgartner Höhe in Wien befand sich eine Kinderfachabteilung, die zunächst Teil der städtischen Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" war und später unter dem Namen "Wiener städtische Nervenklinik für Kinder" eine eigenständige Klinik wurde, in der rund 800 Kinder ermordet wurden. Aus der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" wurden mehr als 7.500 – erwachsene – PatientInnen getötet.
[13] Heinrich Gross (1915–2005) war "Am Spiegelgrund" maßgeblich an der Ermordung von Kindern beteiligt. Nach Kriegsende und kurzer Haft arbeitete er als Facharzt für Nerven- und Geisteskrankheiten wieder auf der Baumgartner Höhe, forschte unter anderem an Gehirnen von vor 1945 getöteten Kindern und war als Gerichtsgutachter tätig. Erst 1999 wurde neuerlich Anklage gegen ihn erhoben und daraufhin ein Gerichtsverfahren eingeleitet, das jedoch infolge eines Gutachtens, das ihm unter anderem Demenz attestierte, bis zu seinem Tod nicht mehr wiederaufgenommen wurde.
[14] Um Platz für die Jugendfürsorgeabteilung "Am Spiegelgrund" zu schaffen, waren 1940 insgesamt 3.200 Menschen aus der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" in die Tötungsanstalt in Schloss Hartheim in Oberösterreich verbracht worden. Hier wurden im Zuge der NS-Euthanasie rund 30.000 Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen ermordet.
[15] Aus der "Wiener städtischen Heil- und Pflegeanstalt in Ybbs an der Donau" wurden fast 2.300 PatientInnen nach Hartheim gebracht und ermordet.
[16] Die Erziehungsanstalt befand sich im so genannten Hyrtl'schen Waisenhaus in Mödling.
[17] Ernst Illing (1904–1946), deutscher Psychiater und Neurologe, 1942 bis 1945 ärztlicher Direktor der Jugendfürsorge "Am Spiegelgrund", 1946 zum Tod verurteilt und hingerichtet. "Aktion T4" – die Abkürzung steht für Tiergartenstraße Nr. 4 in Berlin, wo sich die Zentraldienststelle der Aktion befand – war die Bezeichnung für die Ermordung der über 70.000 körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen im Rahmen der NS-Euthanasie.
[18] Im Jugend-KZ Moringen in Niedersachsen waren rund 1.400 männliche Jugendliche inhaftiert, im KZ Uckermark in Brandenburg rund 1.200 Mädchen und junge Frauen. Wie viele junge Männer und Frauen in den beiden Konzentrationslagern ums Leben kamen, ist nicht genau bekannt.