Heinz T.

"Judenbengel! Kannst nicht aufpassen!"

Geboren im März 1936 in Wien als Sohn einer Jüdin und eines "Ariers".

Die Ehe der Eltern und der Übertritt zum katholischen Glauben schützten die jüdische Mutter und ihre drei Söhne vor unmittelbaren Verfolgungshandlungen und Deportation. Nicht geschützt waren sie jedoch vor persönlichen Angriffen und Demütigungen.

Da der jüdische Dienstgeber der Mutter zusperren musste, verlor sie ihren Arbeitsplatz und hatte als Jüdin keine Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung als Schneiderin. Der "arische" Vater musste aufgrund der Religion seiner Frau seine Anstellung beim Post- und Telegraphendienst aufgeben und wurde zur Arbeit in den Flugmotorenwerken Wiener Neudorf bei wesentlich reduziertem Lohn zwangsverpflichtet. Dem dreijährigen schwerstbehinderten Bruder, der an Scharlach und Diphtherie erkrankt war, wurde aus rassischen Gründen in mehreren Spitälern die Aufnahme verweigert. Nachdem er schließlich doch stationär aufgenommen worden war, starb er kurz darauf unter fragwürdigen Umständen. Die jüdischen Großeltern wurden 1942 zunächst nach Theresienstadt deportiert und kamen von dort nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden.

Als im September 1942 meine Großeltern von den Nazis aus unserer Wohnung abgeholt wurden, sind auch meine Mutter und ich zur Sammelstelle in der Sperlgasse [1] mitgenommen worden. Dort stellte sich heraus, dass wir beide gar nicht auf der Liste standen und so wurden wir mit Hieben und Fußtritten rausgeworfen und mit Rufen wie "Euch kriegen wir schon noch" bedacht.

In der Volksschule Große Pfarrgasse herrschte als Lehrerin eine fanatische Nationalsozialistin, die auch eine hohe Parteifunktion innehatte. Ich war einer jahrelangen Tortur durch sie und die Mitschüler ausgesetzt, bekam ständig Schläge und Tritte und von der Lehrerin immer die Zusicherung: "Na lange wirst du ja nicht mehr dableiben ..."

In unserem Wohnhaus wohnte eine Frau, die eine hohe Funktionärin in der NS-Frauenschaft [2] war. Ihr Mann und ihr Sohn waren SA-Offiziere, rempelten mich immer im Stiegenhaus an und brüllten: "Judenbengel! Kannst nicht aufpassen!"

Solche und ähnliche Vorkommnisse und sich in ständiger Lebensgefahr zu befinden machten mich zum nervlichen Wrack. Ich war dann 1945 lange Zeit in Behandlung. Ich litt an Schlaflosigkeit, Schweißausbrüchen, zittrigen Händen und immer wieder Angstzuständen. Ganz überwindet man die Erlebnisse dieser grausamen Zeit aber nie.

[1] In der kleinen Sperlgasse 2a im zweiten Wiener Gemeindebezirk befand sich eines der so genannten Sammellager, in welchen die jüdischen Insassinnen und Insassen auf ihre Deportation in die östlichen Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager warten mussten.
[2] Die NS-Frauenschaft war die Frauenorganisation der NSDAP.