Das kuratorische Konzept der neuen österreichischen Ausstellung

Die neue österreichische Ausstellung im Block 17 des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau (Präsentation im Wien Museum) steht unter dem Titel "Entfernung. Österreich und Auschwitz". Der Begriff "Entfernung" verweist auf die geografische Distanz zwischen Österreich und Auschwitz, die Teil der nationalsozialistischen Verleugnungsstrategie des Massenmordes war. Zugleich meint Entfernung auch Vernichtung: die physische Entfernung der nach Auschwitz Deportierten, aus Österreich und aus dem Leben.

Die Ausstellung setzt diese Entfernungen in den Mittelpunkt und bringt den Anfang der Geschichte in Österreich und deren Ende in Auschwitz den BesucherInnen nahe, "ent-fernt" also gleichsam die beiden historischen Orte, ohne sie auf gleicher Ebene miteinander zu verbinden. Um die "Entfernung" nicht nur intellektuell begreifbar, sondern auch visuell und sinnlich erfahrbar zu machen, besteht der Hauptteil der historischen Ausstellung aus drei einander bedingenden und miteinander verbundenen Ebenen: "Hier" (Auschwitz), "Dort" (Österreich) und die "Leere".

Inhaltlich setzt das Konzept auf vier Themenschwerpunkte, die in die Ebenen von „Hier“ und „Dort“ eingebettet werden. Zu diesen Kernbereichen zählen der „Aufbau“ – das sind die Anfänge der NSDAP in Österreich bis zum „Anschluss“ sowie der Aufbau des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, die „Strukturen“ –  d.h. der NS-Apparat in Österreich und das Lagersystem Auschwitz, die „Handlungsmöglichkeiten“ von Menschen im nationalsozialistischen Österreich sowie im KZ Auschwitz zwischen Täterschaft, Anpassung und Widerstand sowie die „Befreiung“  in Österreich und Auschwitz.

Im "Hier" wird von den österreichischen Opfern und TäterInnen ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Auschwitz erzählt. Die realen, in Vitrinen gezeigten Objekte sind eingebettet in ihren unmittelbaren räumlichen Zusammenhang – am Ort des Terrors. Das "Dort" widmet sich dem Nationalsozialismus in Österreich, seiner Vorgeschichte, dem "Anschluss", dem Aufbau und der Struktur des Terrorregimes, den darin eingebundenen AkteurInnen sowie dem Schicksal der Verfolgten. Dieser Ausstellungsteil, der ebenfalls durch Objekte in Vitrinen präsentiert wird, ist nicht real vorhanden, sondern wird als Film auf Bildwände projiziert. Die reale ("Hier") und die virtuelle Ebene („Dort“) werden durch die Illusion, die realen Vitrinen würden in der Projektion fortgesetzt werden, miteinander zu einer Ausstellung verbunden.

Diese Illusion wird enttäuscht, sobald man hinter die Bildwände in den Innenraum, die "Leere" tritt. Der gesamte Ausstellungsteil zur historischen Entwicklung in Österreich, und damit alles, was vor Auschwitz und von Auschwitz entfernt geschah (im "Dort"), verschwindet und erweist sich als Chimäre, als bloße Erinnerung. Die Fäden zwischen den beiden Orten, Zeiten und Welten sind abgerissen. Für die nach Auschwitz-Birkenau Deportierten war nur mehr das Binnensystem des Lagers von realer Bedeutung, das über Leben und Tod entschied.

Die neue Ausstellung stellt das Schicksal der österreichischen Opfer in Auschwitz, den Widerstand von österreichischen Häftlingen im Konzentrationslager sowie die Involvierung von ÖsterreicherInnen als TäterInnen und HelferInnen an den dort begangenen Verbrechen dar. Neben dem Anspruch, historisch aufzuklären, wird auch kollektives Gedenken und individuelles Erinnern ermöglicht. Ein eigener Gedenkbereich widmet sich der Erinnerung an die in Auschwitz geschehenen Gräuel und dem Schicksal der vielen, oft namenlosen, in den Gaskammern ermordeten Menschen.

Das Ausstellungskonzept begegnet den Herausforderungen, welche die Spezifika der österreichischen Geschichte sowie die Verankerung der neuen Ausstellung im internationalen Gedenkort Auschwitz-Birkenau mit sich bringen, auf besondere Weise. Im Unterschied zu den anderen Länderausstellungen, für die die nationalsozialistische Okkupation den gemeinsamen historischen Nenner darstellt, verhält sich die Ausgangssituation für die österreichische Ausstellung aufgrund der Mitverantwortung großer Teile der österreichischen Bevölkerung an den NS-Verbrechen anders. In Österreich lebende Menschen wurden verfolgt und ermordet, sie wurden Opfer der NS-Verbrechen. In Österreich lebende bzw. hier politisch und gesellschaftlich sozialisierte Menschen waren aber auch an prominenter und weniger prominenter Stelle aktiv beteiligt an den genozidalen Verbrechen des NS-Regimes. Die Darstellung der (Mit-)Täterschaft wurde in der vorangegangenen Ausstellung weitgehend ausgeblendet. Daher werden neben den im Zentrum stehenden Biographien von Menschen sämtlicher Opfergruppen auch Täterbiographien Teil der neuen Ausstellung sein. Die in der Darstellung verschränkte Geschichte der österreichischen Opfer und TäterInnen soll zu einer adäquaten Vermittlung der Rolle Österreichs in der Geschichte des Nationalsozialismus beitragen.

Rahmenbedingungen zur inhaltlichen Arbeit

Die inhaltliche Arbeit erfolgte in Abstimmung mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, das für Länderausstellungen in der Gedenkstätte folgende allgemeine Richtlinien vorgegeben hat:

  • Die Ausstellungen müssen einen historischen Charakter haben.
  • Sie sollen die Deportationen aus dem Land und deren Hintergründe darstellen.
  • Die Länderausstellungen sollen nicht die Dauerausstellung wiederholen, sondern das spezifische Schicksal der deportierten und ermordeten Landesbevölkerung schildern und inhaltlich mit der Befreiung des Lagers am 27. Jänner 1945 enden.
  • Ein erinnerungspolitischer Diskurs, der über das Bestehen des Lagers und dessen historische Zusammenhänge hinausgeht, ist in den Länderausstellungen nicht erwünscht.

Vor Installation der Ausstellung mussten sämtliche Texte mit dem Museum abgestimmt werden. Aufgrund der Internationalität des Ortes sind die Ausstellungen dreisprachig auszuführen (Landessprache, Polnisch, Englisch).