Abschied von Heidemarie Uhl
Nachruf
Eine große Historikerin Österreichs ist nicht mehr. Heidemarie Uhl ist am 11. August 2023 im Alter von 66 Jahren verstorben.

Foto: IKT | Stefan Csáky
Heidemarie Uhl setzte sich zeit ihres Lebens mit den Folgen und Nachwirkungen des Nationalsozialismus in Österreich kritisch auseinander, insbesondere mit dem Umgang der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mit dem „Anschluss“ 1938, der „Opferthese“ sowie den Formen und Wandlungen der österreichischen Erinnerungskultur. Uhl war zudem Mitglied in vielen Gremien im In- und Ausland, darunter in der österreichischen Delegation der Internationalen Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), und eine wichtige Stütze für den Nationalfonds vor allem auch bei der Neugestaltung der österreichischen Länderausstellung in Auschwitz.
In einem Gastbeitrag mit dem Titel „Abschied von der Opferthese“ schrieb Uhl zum Gedenkjahr 2008, dass die neue Perspektive auf den März 1938 als Beginn der Involvierung Österreichs in das NS-Herrschaftssystem im österreichischen Gedächtnis verankert sei. „Zukünftig geht es wohl eher darum, die selbstkritische Reflexion über die Verstrickung der eigenen Gesellschaft in den nationalsozialistischen Zivilisationsbruch vor der Erstarrung in den Ritualen eines routinierten Gedenkens zu bewahren.“ Mit Aleida Assmann plädierte Uhl dafür, dass Gedenktage nicht nur der Erinnerung an identitätsstiftende historische Ereignisse dienen, sondern vor allem auch dazu, neue Generationen in das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft einzuüben. „Diesen Möglichkeitsraum einer kritischen Reflexion über die eigene Gesellschaft – und auch über ihre Erinnerungskultur – für kommende Generationen offenzuhalten“ könnte eine Aufgabe zukünftiger „Gedenkjahre“ sein, so Uhl.
Diese Aufgabe setzte sie in der Folge auch konsequent um – unter anderem in einigen vom Nationalfonds unterstützten Projekten: 2015 etwa mit einer vielbeachteten Ausstellung zum „Kriegsende 1945 – Verdichtung der Gewalt“ oder 2018 mit dem Projektionskunst-Projekt „Zeituhr 1938“ zum Jahrestag des „Anschluss“ am 11./12. März 1938, bei dem rund 300 Schlüsselereignisse des Anschluss-Geschehens in einen vielschichtigen mehrdimensionalen Zusammenhang gestellt und auf die Fassaden des Bundeskanzleramtes in Wien und des Landhauses in Klagenfurt projiziert wurden. 2021, zum 80. Jahrestag der ersten reichsweiten Deportationstransporte im Oktober 1941, war sie eine der Kuratorinnen der Outdoor-Ausstellung „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“.
Heidemarie Uhl hat die kritische Erinnerungskultur Österreichs in den letzten Jahrzehnten geprägt und hinterlässt als Historikerin und als Mensch eine große Lücke.
Zum Werdegang von Heidemarie Uhl:
Heidemarie Uhl wurde 1956 geboren und begann 1988 als Historikerin an der Universität Graz zu arbeiten. Von 1994 bis 2000 war sie dort im Spezialforschungsbereich „Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900“ tätig. Ab Jänner 2001 war sie Mitarbeiterin beim Forschungsprogramm „Orte des Gedächtnisses“ an der Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. 2005 habilitierte sie sich im Fach Allgemeine Zeitgeschichte an der Universität Graz. Im Jahr 2009 war Heidemarie Uhl Gastprofessorin an der „Hebrew University“ in Jerusalem. Ihre Forschungsschwerpunkte waren die Gedächtnisforschung, der Umgang mit der NS-Vergangenheit, die Theorie der Kulturwissenschaften sowie Kultur und Identität in Zentraleuropa um 1900.