Abschied von Zwi Nigal
Mit großer Trauer haben wir vom Tod von Zwi Nigal erfahren. Erst im April dieses Jahres konnte der aus Österreich stammende Holocaust-Überlebende und erste Simon-Wiesenthal-Preisträger Glückwünsche zu seinem 100. Geburtstag entgegennehmen. Nun ist die Stimme des unermüdlichen Zeitzeugen für immer verstummt.
Geboren 1923 als Hermann Heinz Engel in Wien, erlebte er als Jugendlicher in den Schulklassen die Segregation zwischen Juden und Nicht-Juden, tägliche Schikanen und schließlich die Vertreibung im Dezember 1938, als eine Frau in die Wohnung seiner Familie in die Große Stadtgutgasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk kam und diese für sich reklamierte.
Als Zeitzeuge ließ Zwi Nigal später Schüler:innen einer Oberstufe an seinen Erinnerungen und Gefühlen zu diesem prägenden Tag teilhaben: „Mein Vater hatte Glück, fand irgendwo ein Zimmer und einen Handwagen, mit dem wir unsere Habseligkeiten hinüberschoben – unter den höhnischen Zurufen der Menschen auf der Straße, unter den Hakenkreuzfahnen auf jedem Haus vom Dach bis zum Gehsteig ... Und was ich dabei fühlte, als ich den Handwagen zog: Dafür ist mein Onkel [im Ersten Weltkrieg, Anm.] gefallen für Österreich? Dafür hat mein Vater [bei der Staatsbahn, Anm.] sein Leben lang gedient? Das ist, was man mich unterrichtet hatte, das Heimat ist?“ Damals sagte sich der damals 15-Jährige: „Nie wieder Österreich.“
Im Jänner 1939 flüchtete der 16-jährige Hermann Heinz Engel mit der Jugend-Aliyah nach Palästina.
Ab 1941 kämpfte er in der 10. Kompanie von „The buffs“, die später Teil der Jüdischen Brigade der Britischen Armee wurde, gegen Nazi-Deutschland und änderte seinen Namen auf Hebräisch Zwi Nigal.
Seine Eltern hatte er in Österreich zurücklassen müssen.
Sein Vater Theodor Engel, pensionierter Oberinspektor der Österreichischen Bundesbahnen, wurde 1942 nach Theresienstadt und im Oktober 1944 weiter nach Auschwitz deportiert. Er überlebte den Holocaust nicht.
Seine Mutter Jeanette Engel, geborene Hirsch, konnte Wien 1940 verlassen. Sie war bis 1945 in Mauritius in britischer Internierung und wanderte danach nach Palästina aus, wo sie Ende der 1980er-Jahre starb.
1946 kehrte Zwi Nigal als britischer Soldat nach Wien zurück, doch er wollte nicht mehr in Österreich leben. Er ging nach Palästina, schloss sich der paramilitärischen Untergrundorganisation Hagana an und kämpfte 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Von 1948 bis 1966 diente er als Soldat in der Israelischen Armee.
Es war für Zwi Nigal immer wichtig, sein Wissen an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Nach seiner Pensionierung hielt er als Zeitzeuge Vorlesungen vor jährlich etwa 1.500 Schüler:innen in Deutschland und Österreich. Er hatte viel zu erzählen.
2018, als er seine alte Schule im zweiten Wiener Gemeindebezirk besuchte, erinnerte er sich an seine Erlebnissen als Schüler im Jahr 1938 und daran, wie er den „Anschluss“ hautnah miterlebte: „Ich hörte die Abschiedsrede von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg im Radio. Er beendete sie mit den Worten ‚Gott schütze Österreich‘, danach war die österreichische Nationalhymne zu hören. Diesen Moment werde ich nie vergessen.“

An der früheren Wohnadresse von Zwi Nigal und seiner Familie in der Großen Stadtgutgasse 34 befindet sich heute eine Gedenktafel für die jüdischen Bewohner:innen dieses Hauses, die in den Jahren des Nazi-Terrors vertrieben oder deportiert und ermordet worden sind. Unter den Namen ist auch der von Zwi Nigals Vater Theodor Engel.
2021 erhielt er gemeinsam mit weiteren Zeitzeug:innen für sein zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust den Simon-Wiesenthal-Preis. Es war eine späte, doch wohlverdiente Ehrung, die er von Österreich erfuhr.
Zwi Nigal und seine Geschichte leben in unserer Erinnerung weiter.