Ein Stück späte Gerechtigkeit – Präsentation des Schlussberichts der Schiedsinstanz
Am 18. Juni 2025 präsentierte der Nationalfonds im Juridicum in Wien den „Schlussbericht der Schiedsinstanz für Naturalrestitution“ und Band 8 der „Entscheidungen der Schiedsinstanz“. Im Folgenden finden Sie einen Bericht mit einer Zusammenfassung der Redebeiträge.

Begrüßung durch Vizedekan Christian Koller
Der Vizedekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Christian Koller, begrüßte die Teilnehmer:innen der Veranstaltung. Die Mitglieder der Schiedsinstanz seien nicht die Subsumptionsautomaten des Rechts gewesen, sondern hätten einen aktiv humanitären Zugang zur Verantwortung gepflegt. Besonders hervorzuheben sei die Rolle der jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die „mit Engagement, Akribie und spürbarer Empathie“ an der Seite der Schiedsinstanz gearbeitet hätten.
Im Vorwort des Schlussberichts komme zudem eine bemerkenswerte Selbstreflexion zum Ausdruck, etwa in der Auseinandersetzung mit dem Begriff der „extremen Ungerechtigkeit“ und dessen Verhältnis zur Rechtskraft. Aus dieser Herangehensweise könne man „vielleicht auch das eine oder andere noch lernen“, wie mit großer Ungerechtigkeit und Rechtskraft umzugehen sei.
Aus Sicht der Fakultät gelte besonderer Dank Botschafter Honorarprofessor Erich Kussbach, Professor Reinisch sowie dem Vorsitzenden der Schiedsinstanz, Professor Aicher, die über Jahrzehnte hinweg außergewöhnliche Arbeit geleistet hätten.
Die Tätigkeit der Schiedsinstanz sei zwar abgeschlossen, ihre Arbeit, ihr Geist und ihr methodischer Zugang blieben jedoch dank der Publikationen erhalten. Diese seien einer wissenschaftlichen Reflexion und juristischen Auseinandersetzung zugänglich und könnten Eingang in die universitäre Lehre finden.
Es sei für die Fakultät eine große Ehre, die Veranstaltung ausrichten zu dürfen. Die hohe Teilnehmerzahl, „vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass es der Abend vor einem langen Wochenende ist“, bestätige die Bedeutung des Themas. Die Veranstaltung solle zum Anlass genommen werden, zu würdigen, „was hier geleistet wurde, im Dienste des Rechts, im Gedenken der Opfer und im Sinne der Verantwortung, die nicht endet“.

Einführende Worte durch Hannah Lessing
Die Vorständin des Nationalfonds und ehemalige Generalsekretärin des Allgemeinen Entschädigungsfonds Hannah Lessing blickte in ihren einleitenden Worten auf die Arbeit der 2021 aufgelösten Schiedsinstanz zurück und bedankte sich bei deren Mitgliedern für ihre über 20-jährige ehrenamtliche Tätigkeit.
Lessing gab in ihrem Beitrag einen persönlichen und reflektierenden Rückblick auf die Entstehung und Entwicklung des Allgemeinen Entschädigungsfonds sowie der Schiedsinstanz. Ausgangspunkt sei das Jahr 2001 gewesen, in dem die Verhandlungen zum Washingtoner Abkommen zwischen Österreich und den USA stattgefunden hätten – einem Abkommen, das die Entschädigung und Restitution für Opfer des Nationalsozialismus neu geregelt habe.
Man habe sich damals im Verhandlungsteam, so Lessing, mit vielen Fragen und Zweifeln konfrontiert gesehen: „Tun wir das Richtige?“ oder „Ist angesichts dieses außerordentlichen Un-rechts – so vieles davon noch unaufgearbeitet – so etwas wie Gerechtigkeit überhaupt möglich?“ Als Ergebnis des Abkommens sei noch im selben Jahr der Entschädigungsfonds eingerichtet worden. Dass die damit verbundenen Aufgaben – insbesondere für die bei diesem Fonds angesiedelte Schiedsinstanz – ein solches Ausmaß annehmen würden, sei damals nicht absehbar gewesen.
Aus persönlicher Erfahrung wisse sie: Ihr eigener Vater habe nach seiner Rückkehr aus dem Exil keine Rückstellung beantragt – zu viele andere Dinge seien dringlicher gewesen, und die Verfahren hätten sich als mühsam erwiesen. Für viele Überlebende im Ausland seien die rechtlichen Rahmenbedingungen kaum zu durchschauen gewesen. Umso wichtiger sei es gewesen, dass der Entschädigungsfonds die Antragsteller:innen nicht nur bei der Restitution selbst, sondern bereits bei der Identifikation von Verlusten unterstützt habe.
Besonders hob Lessing das Team der Schiedsinstanz hervor: Insgesamt hätten 34 Mitarbeiter:innen mitgewirkt – engagierte, fachlich kompetente junge Menschen. Diese hätten mit großem Idealismus und Entschlossenheit zur Umsetzung des Gesetzes beigetragen. Lobend erwähnt wurde von Lessing auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Jurist:innen und Historiker:innen, die gemeinsam kreative Arbeitsabläufe und tragfähige Lösungen entwickelt hätten.
In ihrer Rückschau betonte Lessing, dass es bei der Rückgabe oft nicht nur um materiellen Besitz gegangen sei, sondern auch darum, den Überlebenden ein Stück ihrer Familiengeschichte zurückzugeben. Die Anträge hätten sich auf die unterschiedlichsten Objekte bezogen – von Liegenschaften und Zinshäusern bis hin zu besonderen Fällen wie einem Kino, einem Theater oder einer Almhütte.
Besonders in Erinnerung geblieben sei ihr eine kuriose Geschichte aus dem Jahr 2010: Die Erben eines Wiener Apothekers, der nach Australien geflüchtet war, hätten Rückstellung für mehrere Grundstücke beantragt. Eines davon sei mittlerweile zu einem Kreisverkehr in Bad Vöslau geworden. Einer der Erben habe dies in einem australischen Zeitungsartikel humorvoll kommentiert: „What can you do with a share of a roundabout? It is not something you can build a villa on...“ Eine Rückgabe sei in diesem Fall nicht möglich gewesen, weshalb die Schiedsinstanz eine Entschädigung zum aktuellen Verkehrswert empfohlen habe.
Abschließend verwies Lessing auf die Buchreihe „Entscheidungen der Schiedsinstanz für Naturalrestitution“, mit der samt dem an diesem Abend präsentierten achten Band eine internationale Fachöffentlichkeit erreicht werde. Die Reihe sei zweisprachig und in vielen wissen-schaftlichen Bibliotheken weltweit zu finden – von den USA über Israel bis nach Lateinamerika und Australien.
Seit der Auflösung der Schiedsinstanz im Jahr 2021 und des Allgemeinen Entschädigungsfonds im Jahr 2022 werde die Reihe vom Nationalfonds mit Unterstützung des Außenministeriums fortgeführt. Der nun vorgelegte Schlussbericht sei das „opus magnum des heutigen Abends“ – ein Werk, das 20 Jahre anspruchsvoller Tätigkeit dokumentiere. Dass es gelungen sei, diese komplexe Arbeit in einer nachvollziehbaren und umfassenden Form darzustellen, sei insbesondere den Kolleg:innen zu verdanken, die an der Erstellung des Buches mitgewirkt hatten.
Lessing schloss ihre Ausführungen mit einem ausdrücklichen Dank an die Herausgeber:innen des Schlussberichts und die Mitglieder der Schiedsinstanz. Unter deren kluger und umsichtiger Leitung sei eine anspruchsvolle Aufgabe mit bemerkenswertem Engagement umgesetzt worden. Besonders hervorgehoben wurde von Lessing, dass sämtliche Entscheidungen einstimmig getroffen wurden – ein Umstand, der angesichts der ehrenamtlichen und über zwei Jahrzehnte währenden Tätigkeit nicht selbstverständlich sei.
Als Nichtjuristin habe sie vor allem der klare, pragmatische und zugleich verständliche Zugang der Schiedsinstanz beeindruckt. Es sei ein Privileg gewesen, diese ebenso präzise wie menschliche Arbeitsweise miterleben zu dürfen. Die Rednerin betonte, dass die Aufgabe auch distanziert hätte behandelt werden können – doch stattdessen sei stets spürbar gewesen, dass den Beteiligten ein echtes Anliegen zugrunde gelegen sei. Es seien Menschen am Werk gewesen, „die das Herz am rechten Fleck“ hätten.
Somit sei es gelungen, ein Stück späte Gerechtigkeit zu schaffen – für die Opfer, ihre Erben und für Österreich, ganz nach den Worten Gottfried Wilhelm Leibnizʼ: „Die Gerechtigkeit ist nichts anderes als die Nächstenliebe des Weisen.“

Einleitung durch Josef Aicher
Josef Aicher, emeritierter ordentlicher Universitätsprofessor für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht an der Universität Wien, ehemaliger Vorsitzender der Schiedsinstanz sowie Mitherausgeber des Schlussberichts und der Buchreihe, berichtete in seiner Einführung über die Herausforderungen der Arbeit des Gremiums, über deren Ergebnisse und stellte die Inhalte und Beiträge des fast 1.300 Seiten umfassenden Schlussberichts vor.
Zunächst zog Aicher Bilanz über die 20-jährige Tätigkeit des Gremiums, das im Jahr 2001 auf Grundlage des Washingtoner Abkommens und des Entschädigungsfondsgesetzes eingerichtet worden war. Mit der Kenntnisnahme des Schlussberichts durch den Hauptausschuss des Nationalrats am 29. Juni 2021 sei die Schiedsinstanz offiziell aufgelöst worden. Der Schlussbericht liege nun zweisprachig in Druck- und E-Book-Form vor und dokumentiere umfassend die Aufgaben, Herausforderungen und Ergebnisse der Schiedsinstanz.
Die zentrale Aufgabe des Gremiums habe darin bestanden, Rückstellungen oder Entschädigungen für in der NS-Zeit entzogene Liegenschaften zu empfehlen – unter der Voraussetzung, dass sich diese am 17. Jänner 2001 im öffentlichen Eigentum befunden hatten. Fälle, die bereits durch frühere Rückstellungsgesetze geregelt waren, hätten nur unter engen Bedingungen – etwa bei „extremer Ungerechtigkeit“ – erneut behandelt werden können.
Aicher ging anschließend auf die drei Themenfelder des Schlussberichts ein:
- Rechtsgrundlagen und Entstehung: Darin würden die Entwicklung des Washingtoner Abkommens, die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Verfahrensordnung der Schiedsinstanz nachgezeichnet.
- Tätigkeit der Schiedsinstanz: In diesen Beiträgen würden die juristische und historische Bearbeitung der Anträge, der Ablauf der Verfahren sowie die umfangreiche Beweiserhebung dargestellt.
- Ergebnisse und Einordnung: Die Beiträge würden die Tätigkeit der Schiedsinstanz im historischen Kontext früherer Rückstellungsmaßnahmen, begleitet von einer kritischen Reflexion der Zielerreichung und Öffentlichkeitsarbeit, betrachten. Ein ausführliches Statistikkapitel runde diesen Teil ab.
Insgesamt habe die Schiedsinstanz 2.307 Anträge erhalten und 1.582 Entscheidungen getroffen. In 61 Entscheidungen sei eine Naturalrestitution empfohlen worden – mit einer Gesamtfläche von rund 88 Hektar und einem geschätzten Wert von 48 Millionen Euro, darin enthalten etwa 9,8 Millionen Euro an Geldentschädigung.
Zusätzlich stellte Aicher den Band 8 der Buchreihe „Entscheidungen der Schiedsinstanz für Naturalrestitution“ vor, der 21 Entscheidungen aus den Jahren 2009 und 2010 dokumentiert. Ein Novum dieses Bandes sei die Veröffentlichung zweier Entscheidungen ohne Anonymisierung, dank des Einverständnisses der Antragstellenden.
Zum Abschluss sprach der Vorsitzende zahlreichen Mitwirkenden seinen Dank aus, darunter dem Redaktionsteam, Übersetzerinnen und Übersetzern, dem Verlag Facultas sowie dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten als Fördergeber. Auch der Geschäftsstelle des Entschädigungsfonds, insbesondere Hannah Lessing und Christine Schwab, dankte er für die langjährige Unterstützung.

„Vom Nachkriegsrecht zur Schiedsinstanz" von Franz-Stefan Meissel
Franz-Stefan Meissel, Universitätsprofessor für Römisches Recht und Vorstand des Instituts für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte, ging in seinem Vortrag „Vom Nachkriegsrecht zur Schiedsinstanz – Anmerkungen zur Restitution von Grundstücken an Opfer des Nationalsozialismus“ auf die früheren Maßnahmen zur Rückstellung und Restitution von entzogenen Liegenschaften und anderen Vermögenswerten in Österreich nach 1945 ein und spannte damit einen historischen Bogen zur Tätigkeit der Schiedsinstanz.
Der Vortrag widmete sich der historischen Entwicklung der Rückstellungspraxis in Österreich – von den Nachkriegsjahren bis zur Einrichtung der Schiedsinstanz für Naturalrestitution im Jahr 2001. Im Mittelpunkt standen die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Rolle der Rückstellungskommissionen und die Frage, welche Lücken („gaps and deficiencies“) die Schiedsinstanz schließen sollte.
Meissel begann mit einem persönlichen Rückblick auf seine Berührungspunkte mit der Thematik – von der Arbeit in der Historikerkommission bis hin zur juristischen Unterstützung von Antragstellenden. Mit Blick auf die Veröffentlichung des Schlussberichts und des achten Bandes der Schiedsinstanz-Reihe lobte er die „Sorgfalt, mit der seit Jahren die Bände mit ausgewählten Entscheidungen redigiert und herausgegeben werden“, und betonte deren Bedeutung für Rechtswissenschaft und Zeitgeschichte, indem er Chief Justice Lord Hewart zitierte: „Justice should not only be done but should also be seen to be done.“
Die Rückerstattung entzogenen Vermögens habe in Österreich mit dem Nichtigkeitsgesetz 1946 und den Rückstellungsgesetzen von 1947 bis 1949 begonnen. Besonders wichtig sei das Dritte Rückstellungsgesetz gewesen, das für Rückstellungen zwischen Privatpersonen zuständig gewesen sei und bestimmt habe, dass Rechtsgeschäfte aus der NS-Zeit, die politisch Verfolgte benachteiligten, grundsätzlich „null und nichtig“ seien: „Als Vermögensentziehung galt dabei jedes Rechtsgeschäft, das zulasten eines politisch Verfolgten geschlossen wurde.“
Die Verfahren seien von Rückstellungskommissionen bei den Landesgerichten geführt worden. Besonders hervorgehoben wurde die Rolle von Heinrich Klang, dem ersten Vorsitzenden der Obersten Rückstellungskommission, der als NS-Verfolgter selbst maßgeblich zur anfangs opferfreundlichen Judikatur beigetragen habe: „Für die Interpretation des Dritten Rückstellungsgesetzes wurden in der Ära Klang wichtige Weichenstellungen getroffen.“
Die Rückstellungspraxis sei nicht durchgängig rückstellungsfeindlich gewesen, so Meissel, in der Frühphase seien viele Ansprüche anerkannt worden. Später, vor allem nach dem Inkrafttreten des Staatsvertrags von 1955, sei ein Wandel eingetreten: „Die Anwendung des ‚Ausnahmegesetzes‘ wurde zugunsten potentiell Rückstellungspflichtiger eingeschränkt.“
Gleichzeitig wies Meissel die pauschale Kritik an der Rückstellungspraxis – etwa im Buch „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen“ von Robert Knight – differenziert zurück: Verzögerungen seien oft nicht auf Gerichte, sondern auf komplexe Sachverhalte oder Antragstellende selbst zurückzuführen gewesen.
Ein bedeutender Punkt seien ungenutzte Rückstellungsansprüche, etwa durch fehlende Rechtsnachfolger:innen oder unzureichende Information, gewesen. Das Auffangorganisationengesetz 1957 habe Sammelstellen zur Geltendmachung solcher Ansprüche geschaffen. Trotzdem habe keine vollständige Erfassung aller Fälle gewährleistet werden können.
Auch Rückstellungen durch Vergleiche statt Naturalrestitution seien üblich gewesen. Diese seien aus damaliger Sicht oft sinnvoll gewesen, „erscheinen aber aus heutiger Perspektive wirtschaftlich ungünstig“ – ein Bereich, in dem die Schiedsinstanz später aktiv wurde: „Das Gesagte gilt für viele, aber keineswegs für alle Vergleiche – und so blieb der Schiedsinstanz für Naturalrestitution durchaus Raum, um in einer Reihe von Einzelfällen eine Restitution zu empfehlen, da der damalige Vergleich als ‚extrem ungerecht‘ zu qualifizieren war.“
Ein zentrales Problem sei die österreichische Haltung nach 1945 gewesen, sich als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“ zu begreifen – was zu einer weitgehenden Ablehnung staatlicher Verantwortung geführt habe. Der Staat habe lediglich die rechtliche Infrastruktur bereitgestellt, aber keine aktive Unterstützung angeboten: „Für die Rückstellungswerber bedeutete dies aber, dass sie keine staatliche Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche erhielten, sondern mit ihren eigenen Ressourcen um ihr Recht kämpfen mussten.“
Erst das Gedenkjahr 1988 habe einen öffentlichen Bewusstseinswandel eingeleitet. Mit der Einrichtung der Historikerkommission, dem Kunstrückgabegesetz 1998 und dem Entschädigungsfondsgesetz 2001 sei es zu einem Paradigmenwechsel gekommen – und zur Gründung der Schiedsinstanz für Naturalrestitution. „Diese fehlende Hilfe des Staates ist aus heutiger Sicht unzureichend und beschämend […]. Erst mit der Abkehr von der Opferthese […] wurden jene Paradigmenwechsel vollzogen, die unsere heutige Perspektive auf diese Fragen prägen.“

„Naturalrestitution im Washingtoner Abkommen" von Ursula Kriebaum
Ursula Kriebaum, Universitätsprofessorin für Völkerrecht am Institut für Internationales Recht an der Universität Wien, berichtete abschließend in ihrem Vortrag „Naturalrestitution im Washingtoner Abkommen – Einblicke aus dem Verhandlungsteam“ über die Genese des völkerrechtlichen Abkommens und des Entschädigungsfondsgesetzes von 2001, das die Grundlage für die Naturalrestitution von öffentlichem Vermögen bildete und zur Errichtung der unabhängigen und international besetzten Schiedsinstanz führte.
Als Ausgangspunkt verwies Kriebaum auf die Sammelklagen in den USA, die zunächst gegen Schweizer Banken, dann gegen Deutschland und schließlich auch gegen Österreich gerichtet gewesen seien. Diese Klagen hätten zu Verhandlungen über freiwillige Entschädigungszahlungen geführt. Im Zuge dieser Gespräche hätten Opfervertreter:innen zunehmend auf die Notwendigkeit hingewiesen, auch Fragen der Rückgabe von während der NS-Zeit entzogenes Vermögen zu behandeln – Ziel sei eine „umfassende und abschließende Lösung [...] im Einklang mit internationalen Rechtsstandards“ gewesen.
Österreich habe sich im Mai 2000 im Rahmen der Versöhnungskonferenz bereit erklärt, über Restitutionsfragen zu verhandeln. Bundeskanzler Schüssel habe den damaligen Direktor der Diplomatischen Akademie, Ernst Sucharipa, zum Sonderbeauftragten ernannt. Dieser habe das Mandat angenommen und es ehrenamtlich ausgeführt.
Kriebaum beschrieb, dass der strukturierte und dialogorientierte Zugang zur Lösungsfindung entscheidend gewesen sei. Das Verhandlungsteam habe aus Regierungsvertreter:innen, NGOs und Opferanwälten bestanden. Der Beitrag der Opfervertreter:innen sei wesentlich gewesen, da sie ihre Perspektiven zu Lücken und Mängeln in der österreichischen Gesetzgebung eingebracht hätten.
In der Darstellung des Verhandlungsverlaufs betonte Kriebaum, wie wichtig die frühzeitigen Gespräche mit Opfervertreter:innen für die Ausgestaltung der Restitutionsregelungen gewesen seien. Da zu Beginn keine vollständigen Berichte der Historikerkommission vorgelegen seien, habe man sich stark auf Einschätzungen der Betroffenen verlassen.
Kriebaum erinnerte daran, dass bereits im Mai 2000 im Gespräch mit Ariel Muzicant die Notwendigkeit einer „In-Rem-Restitution“ betont worden sei. Auch die Claims Conference habe diesen Wunsch am 24. Juli 2000 in einem Memorandum geäußert. Dennoch habe sich dieser Punkt erst Schritt für Schritt in die Verhandlungsdokumente eingeschlichen. In frühen Vorschlägen sei die In-Rem-Restitution noch nicht berücksichtigt gewesen.
Ein bedeutender Wendepunkt sei mit dem Entwurf des „Framework Agreement“ im Oktober 2000 erreicht worden, das die Rückgabe öffentlichen Eigentums und speziell jüdischen Gemeindevermögens vorgesehen habe. Es habe sich bald ein Konsens unter den Verhandlungspartner:innen entwickelt, dass eine gerechte Lösung nicht nur Pauschalzahlungen umfassen dürfe.
Die Schaffung einer Schiedsinstanz sei erstmals in einem US-Vorschlag vom Dezember 2000 enthalten gewesen. Diese sollte aus drei Mitgliedern bestehen, wobei jeweils eine Person von Österreich und den USA nominiert und die dritte Person gemeinsam bestimmt werden sollte.
Ein zentrales Element des späteren „Joint Agreement“ sei gewesen, dass die Schiedsinstanz unter bestimmten Voraussetzungen auch in bereits abgeschlossenen Fällen eine Rückgabe empfehlen könne – etwa bei „extremer Ungerechtigkeit“. Dazu erklärte Kriebaum, dass es für diesen Begriff weder in der österreichischen noch in der US-amerikanischen Rechtsordnung Vorbilder gegeben habe, man sich aber wegen der Offenheit des Begriffs darauf geeinigt habe: „Wir wussten nicht genau, wo die Probleme liegen werden.“
Im Jänner 2001 seien dann die letzten Details zur In-Rem-Restitution festgelegt worden. Diese habe sich auf im öffentlichen Eigentum befindliche Immobilien und kulturelle oder religiöse Gegenstände bezogen, die vormals jüdischen Eigentümer:innen gehört hätten und zwischen 1938 und 1945 entzogen worden seien. Die Republik Österreich habe sich verpflichtet, auch andere Gebietskörperschaften zur Teilnahme zu ermutigen. Dies sei später in § 38 des Entschädigungsfondsgesetzes verankert worden.
Kriebaum erläuterte, dass nur Fälle behandelt werden sollten, in denen noch keine abschließende Entscheidung getroffen worden sei – mit zwei Ausnahmen: erstens bei Einigungen, die eine extreme Ungerechtigkeit dargestellt hätten, und zweitens bei Ablehnungen mangels Beweisen, sofern diese später verfügbar geworden seien.
Ergänzend nannte Kriebaum die fünf Hauptkategorien der österreichischen Verpflichtungen aus dem Washingtoner Abkommen:
- pauschalierte Entschädigung für „arisierte“ Wohnungen, Hausrat und Wertgegenstände
- der Allgemeine Entschädigungsfonds
- die In-Rem-Rückgabe von öffentlichem Eigentum
- Sozialmaßnahmen
- Zusatzvereinbarungen
Kriebaum wies abschließend darauf hin, dass der Text des Entschädigungsfondsgesetzes im Wesentlichen die deutsche Übersetzung des „Joint Agreement“ sei: „Wir hatten rund zehn Tage Zeit, dieses Gesetz auszuformulieren.“
Zum Schluss betonte Kriebaum, wie beeindruckend es sei, dass die Schiedsinstanz diesen Text mit Leben erfüllt habe – dies sei in acht bisher erschienenen Bänden der Buchreihe sowie im präsentierten Schlussbericht dokumentiert. Besonders wichtig sei es, dass die Entscheidungen auch in Zukunft zugänglich bleiben, da sie die Geschichte dokumentieren und das Leid der Opfer sichtbar machen würden und als Zeugnis für kommende Generationen dienen würden.

Bei einem anschließenden Empfang standen die Vortragenden für Fragen zur Verfügung.
Herzlichen Dank allen Vortragenden für ihre Beiträge und den zahlreichen Gästen für die Teilnahme an der Veranstaltung!