Bericht und Bildergalerie zur Buchpräsentation "Exil in Afrika"

Am 10. April 2014 präsentierte der Nationalfonds im Palais Mollard in Wien den dritten Band der Buchreihe "Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus", der sich dem Thema "Exil in Afrika" widmet. Ein Bericht über die Veranstaltung.

Die barocken Räumlichkeiten der Österreichischen Nationalbibliothek im Palais Mollard in der Herrengasse bildeten einen würdigen Rahmen für die Präsentation, die sich einer speziellen Gruppe von österreichischen Verfolgten des NS-Regimes widmete: Jenen, die auf ihrer Flucht in afrikanische Länder gelangten. Der Ort der Präsentation wurde nicht zuletzt deshalb ausgewählt, weil das Palais Mollard auch das Globenmuseum beherbergt, das symbolisch für die Fluchtrouten und zum Teil lebenslange Migration der Betroffenen steht und in dem einige Fotos für das Buch "Exil in Afrika" entstanden sind. Durch den Abend führte die Historikerin und ORF-Moderatorin Mag.a Claudia Unterweger. Für die musikalische Umrahmung sorgte der aus dem Senegal stammende Griot Jali Keba Cissokho mit seiner Kora.

Die Generalsekretärin des Nationalfonds, Mag.a Hannah Lessing, ging in ihrer Begrüßung auf die Bedeutung von Exil und den Verlust von "Heimat" ein, speziell auf die "außerordentliche Herausforderung" für 85 österreichische Überlebende des Nationalsozialismus, die sich als Menschen aus dem Mitteleuropa der 1930er-Jahre unvorbereitet in einer völlig andere Welt zurecht finden mussten. "Von den fast 30.000 Menschen, die seit 1996 durch den Nationalfonds als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden, leben die meisten außerhalb Österreichs, verstreut in über 75 Ländern der Welt." Dem Nationalfonds sei es daher ein "Herzensanliegen", diese Geschichten als Vermächtnis an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben.

Die Herausgeberin und wissenschaftliche Leiterin des Nationalfonds, Dr.in Renate Meissner, stellte in ihren einleitenden Worten die Entstehung und den Inhalt des neuen Bandes vor. Band 3 sei der erste von insgesamt vier geplanten Bänden der vom Nationalfonds seit dem Jahr 2011 herausgegebenen Buchreihe "Erinnerungen", die sich mit dem Leben im Exil außerhalb Europas beschäftigen. Der Band dokumentiere auf 240 Seiten insgesamt neun Lebensgeschichten, deren Fluchtverläufe nicht unterschiedlicher sein könnten. Afrika sei für manche der aus Österreich geflüchteten Menschen vorübergehende Zufluchtsstätte, für andere aber auch bleibende Heimat geworden. Dr.in Meissner verwies auch auf die Bedeutung des Erhalts von Erinnerungen in unterschiedlicher Form, gerade im Angesicht der immer weniger werdenden Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, die "uns Geschichte nahebringen, sie im wahrsten Sinne des Wortes fühlbar machen".

Anhand ausgewählter Audio-, Video- und Textpassagen wurden im Anschluss fünf Lebensgeschichten von österreichischen NS-Verfolgten vorgestellt, die auf ihrer Flucht vor dem nationalsozialistischen Regime in afrikanische Länder gelangten. Mag.a Michaela Niklas vom Redaktionsteam präsentierte anhand englischer Buchzitate das Leben von Madeleine Lopato. Polen, Brüssel, Paris und Kapstadt waren die Stationen ihres Lebens und ihrer Flucht. Wenige Monate nach ihrer Hochzeit wurde ihr Ehemann in Brüssel verhaftet und deportiert. Ihren gemeinsamen Sohn René, der seinen Vater nie kennenlernte, musste Madelaine Lopato als Baby in die Obhut von Fremden geben, um zu überleben. Mit ihrem zweiten Mann wanderte sie 1950 nach Südafrika aus.

Mag.a Mirjam Langer, ebenfalls im Redaktionsteam, gab anhand von Hörbeispielen aus einem Interview einen kurzen Einblick in das abenteuerliche Leben von Susanne Wolff. Sie kam aus großbürgerlichem Haus in Wien mit Köchin und Butler. Nach dem "Anschluss" 1938 flüchtete sie im Alter von 18 Jahren nach Kenia, wo sie einen ihr gänzlich unbekannten Mann heiratete und mit einem völlig konträren, einfachen Lebensstil umgehen lernen musste. Durch die politischen Turbulenzen der Entkolonialisierung verließ sie Kenia wieder, kam über England zurück nach Österreich und landete schließlich in Kitzbühel.

Dr.in Maria Ecker von erinnern.at berichtete über das Interviewprojekt "Neue Heimat Israel", im Zuge dessen auch Amnon Berthold Klein interviewt worden war, der mit seiner Mutter per Schiff "illegal" nach Palästina kam. Die Flüchtlinge erhielten von der britischen Mandatsregierung jedoch keine Landeerlaubnis und wurden stattdessen auf Mauritius interniert, wo Amnon Berthold Kleins Mutter an Typhus starb, sodass er danach ganz auf sich alleine gestellt war. Herr Klein lebt heute in Israel.

Der Historiker Univ.-Prof. Dr. Albert Lichtblau (Universität Salzburg) zeigte einen Filmausschnitt über Norbert Abeles, der mit einem Kindertransport nach England flüchtete, dort zunächst eine landwirtschaftliche Ausbildung erhielt, dann als "feindlicher Ausländer" (enemy alien) interniert wurde und schließlich neben einer Schlosserlehre die Abendschule absolvierte. 1956 wanderte er mit seiner ersten Ehefrau, einer gebürtigen Österreicherin, nach Afrika aus, da er aufgrund seiner britischen Berufsausbildung keine Chance für ein Weiterkommen in Österreich sah. Nach mehr als 50 Jahren im subsaharen Afrika, wo Norbert Abeles an verschiedenen technischen Hochschulen gelehrt hat, lebt er heute mit seiner zweiten Frau Jane in Malawi.

Filmemacher Tom Matzek (ORF, Universum History) erläuterte anhand eines Filmausschnittes aus dem Dokumentarfilm "Flucht ins Ungewisse" der ORF-Reihe "Menschen und Mächte" das Leben von Doris Lurie in Südafrika, einem "Land ohne einfache Wahrheiten", so Matzek. Lurie's Flucht führte von Wien über die Schweiz, Frankreich und England schließlich nach Südafrika, wo sie bald darauf die Einführung des Apartheitsregimes, den anschließenden Kampf um Bürgerrechte, aber auch ein mit der politischen Situation verbundenes Gefühl erneuter Bedrohung miterlebte.

Mag.a Claudia Unterweger diskutierte im Anschluss an die Präsentation mit Tom Matzek und Univ.-Prof. Dr. Albert Lichtblau über die Besonderheiten des Exils in Afrika – das Ankommen in einer Kolonialgesellschaft, die nach bestimmten Regeln "funktionierte", die fremde Lebensweise, das Klima, Krankheiten usw. Trotz der vielleicht "privilegierten" Startbedingungen als EuropäerInnen in einem afrikanischen Land, eingebettet in eine jüdische Community, waren sie Flüchtlinge aus Österreich, die "über Nacht vogelfrei" geworden waren. Diese Unsicherheit blieb aufgrund der politischen Situation oft auch im Exilland bestehen, wie für Doris Lurie in Südafrika. Laut Lichtblau seien  die "Weißen" im Zuge der Entkolonialisierung in den 1950er-Jahren plötzlich exponiert gewesen und viele hätten das Land wieder verlassen müssen, wie im Fall von Susanne Wolff in Kenia. Es blieb also mitunter nicht bei einer Emigration, sondern der Flucht aus Österreich folgten weitere Migrationen.

Das vieldiskutierte Thema "Integration" wurde ebenso angesprochen wie die Besonderheit von Afrika als Ort von Kolonialisierung, Missionierung und Zuflucht sowie die heutigen umgekehrten Fluchtverläufe und die historisch bedingte "Bringschuld" Europas. Im Zuge einer "Globalisierung der Holocaust-Erinnerungen", so Lichtblau, zu dessen Arbeitsschwerpunkten auch Genozid-Forschung gehört, würden diese auch in Gedenkstätten afrikanischer Länder wie etwa in Ruanda aufgegriffen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Shoah habe ganz wesentlich dazu beigetragen, die nachfolgenden Genozide in ihren Strukturen zu verstehen und Warnsignale zu erkennen.

Band 3 dokumentiert lebensgeschichtliche Erinnerungen faszinierender Persönlichkeiten, deren Lebenserfahrungen und -wege mit ihren Brüchen und Widersprüchen, beleuchtet wenig bekannte Teile der österreichischen Geschichte, zeugt von den Folgen von Vertreibung und will diese Lebensgeschichten für das kollektive Gedächtnis Österreichs bewahren. Der lange Schatten der Vergangenheit kann in diesem Sinne als aktives Bewahren von Erinnerung interpretiert werden, diese Lebenserfahrungen an zukünftige Generationen weiterzugeben.