Der Juni ist Pride-Monat
Zur Verfolgung und späten Anerkennung homosexueller NS-Opfer in Österreich
Lange wurde ignoriert, dass unter dem Nationalsozialismus Menschen auch wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Zwar war Homosexualität auch vor 1938 strafbar (seit 1852 stellte §129 Ib des österreichischen Strafgesetzbuches homosexuelle Handlungen sowohl von Männern als auch von Frauen als „Unzucht wider die Natur“ unter Strafe), nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurden in der Praxis Homosexuelle jedoch brutal verfolgt. Ab März 1938 stiegen die Verhaftungen homosexueller oder der Homosexualität verdächtiger Menschen durch die Kriminalpolizei bzw. Geheime Staatspolizei sprunghaft an.[1] Neben Verhaftungen, Demütigungen, Folter, Kerkerhaft wurden viele Homosexuelle auch in Konzentrationslager verbracht.[2]

Lange Zeit fehlte auch eine empirische Basis zur Dimension der Verfolgung homosexueller Handlungen während der NS-Zeit in Österreich. Zwei vom Nationalfonds unterstützte Forschungsprojekte haben erstmals konkrete Daten erhoben. Das 2013 gestartete Projekt zur "namentlichen Erfassung der homosexuellen und transgender Opfer des Nationalsozialismus in Wien"[3] erfasste alle erhaltenen Strafakten nach 129 Ib der Wiener Landesgerichte I und II sowie Akten des Wiener Sondergerichts zur Ahndung der „Verordnung gegen Volksschädlinge“. Rund 700 Strafakten mit ca. 1.400 männlichen und 79 weiblichen Beschuldigten bzw. Verurteilten wurden erfasst.[4] Das zweite Projekt erforschte die „Strafverfolgung homosexueller Handlungen durch die NS-Militärgerichtsbarkeit in Wien 1938 bis 1945“[5] In diesem Projekt wurden rund 90 Verfahren mit etwa 100 Beschuldigten erfasst. Insgesamt konnten somit in beiden Projekten die Geschichten von rund 1.400 Beschuldigten dokumentiert werden.[6]
Nach 1945 wurden Homosexuelle lange nicht als Opfer des Nationalsozialismus wahrgenommen und anerkannt, zumal Homosexualität in Österreich bis zur kleinen Strafrechtsreform 1971 strafbar blieb. Die Diskriminierung in Bezug auf das Schutzalter wurde erst 2002 aufgehoben.
1995 konnten mit dem Nationalfondsgesetz erstmals Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung vom NS-Regime verfolgt worden waren, als Opfer anerkannt werden. Die im Nationalfondsgesetz angeführten Verfolgungsgründe – politische Gründe, Gründe der Abstammung, Religion, Nationalität, die sexuelle Orientierung, körperliche oder geistige Behinderung, der Vorwurf der sogenannten Asozialität oder Gründe, die Menschen auf andere Weise zum Opfer typisch nationalsozialistischen Unrechts werden ließen – sind Ausdruck eines im Vergleich zu früheren Maßnahmen erweiterten Opferbegriffs. Das Nationalfondsgesetz ermöglichte so die Anerkennung verschiedener Opfergruppen, denen davor eine Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus versagt geblieben war.
Die Anerkennung des Unrechts war ein wichtiger Schritt, doch er kam für viele zu spät: In der Praxis wurde die gesetzliche Möglichkeit zur Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus von Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden, kaum in Anspruch genommen. Die Ursachen dafür sind nicht nur in dem Umstand zu suchen, dass diese Möglichkeit erst so spät geschaffen wurde, sondern vor allem wohl in der langen gesellschaftlichen Stigmatisierung. Dennoch hat die Berücksichtigung dieser Opfergruppe durch das Nationalfondsgesetz eine starke symbolische Bedeutung und entfaltet eine gesellschaftliche Signalwirkung. So wurde auch das Opferfürsorgegesetz entsprechend novelliert.
Der lange Weg zum „Homo-Denkmal“
In den vergangenen Jahren wurden Mahnmale zum Gedenken an verschiedene Opfergruppen errichtet. Über ein Mahnmal für die homosexuellen NS-Opfer wurde lange debattiert, die Umsetzung ließ auf sich warten. Bereits Anfang der 2000er unterstützte der Nationalfonds die von der HOSI Wien organisierte Ausstellung „Die NS-Verfolgung der Homosexuellen auf dem Gebiet des ehemaligen Österreich. Aus dem Leben.“[7] Ebenfalls Anfang der 2000er Jahre fasst die Stadt Wien den Entschluss, ein Denkmal für homosexuelle NS-Opfer zu errichten. Als geeigneter Ort wurde zunächst der Morzinplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk ausgewählt, wo sich einst das Hotel Metropol befand. Das Hotel wurde nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 zur Gestapo-Leitstelle Wien umfunktioniert und damit zum zentralen Ort des Terrors und der Verfolgung der politischen Gegner des NS-Regimes.
2006 wurde zu einem Wettbewerb geladen. Der Siegerentwurf – „Rosa Platz“ von Hans Kupelwieser sah ein großes Bassin mit rosa gefärbtem Wasser vor – erwies sich jedoch als technisch nicht umsetzbar. In den Jahren 2010 bis 2015 wurden von KÖR temporäre Mahnmale umgesetzt:
2010 am Morzinplatz die Installation einer eine „Mahnwache“ von Ines Doujak[8]; 2011 ebenfalls am Morzinplatz das temporäre Erinnerungszeichen „Zu spät“ von Carola Dertnig und Julia Rode[9]; 2013 inszenierte Jakob Lena Knebl mit einer Installation unter dem Titel „Schwule Sau“ ein temporäres Mahnmal für die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Homosexuellen, Lesben und Transgender-Personen.[10] 2015 folgte schließlich am Naschmarkt die Installation „raising the bar“ von Simone Zaugg.[11]
Zuletzt bestimmte die Stadt Wien den Resselpark im 4. Wiener Gemeindebezirk als Ort für ein permanentes „Denkmal für Männer und Frauen, die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit wurden“. Aus einem einstufigen Wettbewerb ging der Entwurf des britischen Künstlers Marc Quinn als Sieger hervor, doch zog Quinn sein Projekt in der Folge zurück. Neuerlich wurde ein künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben.
Am 18. Mai 2022 einigte sich die zehnköpfige Jury auf den Entwurf des künstlerischen Teams Sarah Ortmeyer und Karl Kolbitz – „ARCUS (Schatten eines Regenbogens)“. ARCUS übersetzt die bunten Regenbogenfarben, die heute Symbol der LGBTIQ-Bewegung sind, in vielfältige Grautöne und rückt so das Moment der Trauer und des Gedenkens in den Vordergrund. Das Konzept ist einfach und auf den ersten Blick verständlich, zugleich vielschichtig, ausdrucksstark und auf verschiedenen Ebenen lesbar.
Die Verwendung des Regenbogens holt das würdevolle Gedenken und Erinnern an die von den Nazis verfolgten homosexuellen Männer und Frauen in die Gegenwart, übersetzt sie ins moderne Denken. Gleichzeitig schafft der Entwurf in seiner Mehrfarbigkeit trotz der Grautöne Irritation. Er ist im eigentlichen Sinne des Wortes un-fassbar, kann doch ein Regenbogen als optisches Phänomen gar keinen Schatten werfen. Und unfassbar ist auch das Geschehene, die Verfolgung und Ermordung von Menschen.
Wie beiläufig eröffnet das Halbrund der Skulptur einen Raum des Innehaltens und Verweilens, schafft Poesie, verbindet Vergangenheit mit Gegenwart, Gegenwart mit Zukunft und Trauer und Gedenken mit einer Mahnung an uns alle: Die Farbenvielfalt des Regenbogens braucht gute Rahmenbedingungen, um leuchten und lebendig sein zu können.[12]
Nationalfonds-Logo in den Farben des Regenbogens
Seit 27 Jahren steht der Nationalfonds für die Anerkennung der aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten und für ihr Andenken, das der Nationalfonds mit zahlreichen Projekten unterstützt. In diesem Sinne setzt der Nationalfonds im Juni ein Zeichen der Solidarität mit der LGBTIQ+-Community und zeigt sich auf seiner Website und den Social Media Kanälen in den Farben des Regenbogens.
Weiterführende Informationen
Die vom Nationalfonds geförderten Projekte zum Thema "Homosexualität"Anmerkungen
[1] Manuela Bauer, Andreas Brunner, Hannes Sulzenbacher, Christopher Treiblmayr: „Warme“ vor Gericht. Zu Selbst- und Fremdbildern homosexueller Männer in der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich. In: Homosexualitäten revisited. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, Heft 29/2, Innsbruck/Wien/Bozen 2018, S. 86-110, hier: S. 97.
[2] Die Gesamtzahl der wegen Homosexualität in Konzentrationslager Inhaftierten bewegte sich einer Forschungsarbeit zufolge in der Größenordnung von 10.000, es können demnach aber auch 5.000, aber auch an die 15.000 gewesen sein. Vgl. Rüdiger Lautmann, Winfried Grikschat, Egbert Schmidt: Der rosa Winkel in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. In: Rüdiger Lautmann (Hg.), Seminar. Gesellschaft und Homosexualität. Frankfurt am Main 1977, S. 325-365, hier: S. 333.
[3] Projekt: "Namentliche Erfassung der homosexuellen und transgender NS-Opfer aus Wien". https://www.nationalfonds.org/detailansicht/1051
[4] „Warme“ vor Gericht (wie Anm. 1), S. 89.
[5] Projekt: "Die Strafverfolgung homosexueller Handlungen durch die NS-Militärgerichtsbarkeit in Wien 1938-1945": https://www.nationalfonds.org/detailansicht/1275
[6] „Warme“ vor Gericht (wie Anm. 1), S. 90.
[7] Projekt: "Die NS-Verfolgung der Homosexuellen auf dem Gebiet des ehemaligen Österreich. Aus dem Leben": https://www.nationalfonds.org/detailansicht/1422
[8] Das Projekt "Mahnwache" von Ines Doujak wurde im Zeitraum Juli bis Oktober 2010 gezeigt: https://www.koer.or.at/projekte/mahnwache/
[9] Das Projekt "Zu spät" von Carola Dertnig wurde im Zeitraum Juli 2011 bis Oktober 2012 gezeigt: https://www.koer.or.at/projekte/zu-spaet/
[10] Das Projekt "Schwule Sau" von Jakob Lena Knebl wurde im Zeitraum Mai 2013 bis April 2014 gezeigt: https://www.koer.or.at/projekte/schwule-sau/
[11] Das Projekt "raising the bar" von Simone Zaugg wurde im Zeitraum April 2015 bis August 2016 gezeigt: https://www.koer.or.at/projekte/raising-the-bar/
[12] Vgl. dazu das Statement der Jury sowie von Sarah Ortmeyer und Karl Kolbitz, den Siegern des zweistufigen Wettbewerbs "Denkmal für Männer und Frauen, die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit wurden": https://www.koer.or.at/projekte/offener-wettbewerb-zum-denkmal-fuer-maenner-und-frauen-die-opfer-der-homosexuellen-verfolgung-in-der-ns-zeit-wurden/