Jahresrückblick 2021
Mit 2021 neigt sich das zweite Jahr unter dem Eindruck der weltweiten Covid19-Pandemie seinem Ende zu, das für den beim Nationalrat eingerichteten Nationalfonds der Republik Österreich, den Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und den Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich im Zeichen des Abschlusses großer Projekte, aber auch neuer Herausforderungen stand. Unser Dank gilt allen Kooperationspartner*innen im In- und Ausland für die ausgezeichnete Zusammenarbeit!

20 Jahre Washingtoner Abkommen und Allgemeiner Entschädigungsfonds
Der Jänner 2021 brachte den 20. Jahrestag des Washingtoner Abkommens, das die Grundlage für den Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus war. Dieses Jubiläum war am 19. Jänner Anlass für eine virtuelle Buchpräsentation: Der Schlussbericht des Antragskomitees dokumentiert auf 562 Seiten die Tätigkeit des unabhängigen, international besetzten Gremiums, das über 20.702 Anträge auf Vermögensentschädigung entschieden hat und in der Folge 2017 aufgelöst wurde. Rund 25.000 NS-Opfer bzw. deren Erbinnen und Erben erhielten Entschädigungszahlungen – in Summe rund 215 Millionen US-Dollar.
Am 29. Juni 2021 nahm der Hauptausschuss des Nationalrats den Schlussbericht der Schiedsinstanz für Naturalrestitution einstimmig zur Kenntnis. Damit wurde nun auch die 2001 beim Allgemeinen Entschädigungsfonds eingerichtete Schiedsinstanz, die über Anträge auf Naturalrestitution von öffentlichem Vermögen entschied, aufgelöst. Im Großen Redoutensaal der Hofburg überreichte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka dem Vorsitzenden der Schiedsinstanz, Universitätsprofessor Josef Aicher, und dem Schiedsinstanz-Mitglied Universitätsprofessor August Reinisch für ihre 20 Jahre ehrenamtlich geleistete Tätigkeit das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.

Foto: Parlamentsdirektion / Ulrike Wieser
Neue Österreich-Ausstellung in Auschwitz-Birkenau
Am 4. Oktober 2021 wurde die neue, historisch überarbeitete Länderausstellung "Entfernung – Österreich und Auschwitz" eröffnet und damit ein langjähriges Projekt des Nationalfonds vollendet. Mit der Kuratierung der neuen Ausstellung hatte der Nationalfonds als kuratorisch-wissenschafliche Team Birgit Johler, Albert Lichtblau, Christoph Mai, Christane Rothländer, Barbara Staudinger und Hannes Sulzenbacher und mit der Gestaltung den Architekten Martin Kohlbauer beauftragt.
Zur Gedenkfeier anlässlich der Eröffnung im Staatsmuseum Auschwitz-Birkenau luden Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und der Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau Piotr M. A. Cywiński. Der Feier wohnten Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, Bundesratspräsident Peter Raggl, Außenminister Alexander Schallenberg, Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Karoline Edtstadler, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein sowie Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer bei. Die Gedenkfeier wurde in einer Sondersendung auf ORFII sowie auf der Parlamentswebsite live übertragen und ist in der Mediathek on demand abrufbar.
Parallel zur Eröffnung der neuen Ausstellung ging auch die neue Website zur Ausstellung unter www.auschwitz.at online. Sie enthält unter anderem vertiefende Inhalte zu den Themen der Ausstellung, pädagogische Materialien mit Modulen von erinnern.at, Datenbanken zu den Häftlingen und den Täter*innen sowie Biografien. Der Nationalfonds betreut die Website der Ausstellung in technischer und redaktioneller Hinsicht.
Künftig ist der Nationalfonds für die Gewährleistung des Betriebs der neuen sowie für die Verwaltung der bisherigen Ausstellung zuständig, ebenso für die Beantwortung von Anfragen zur Ausstellung sowie zum Themenkomplex Österreich-Auschwitz.
Für Besucher*innen in Auschwitz besteht die Möglichkeit, ihre Eindrücke und Gedanken zur Ausstellung, zum Gedenkort oder zum historischen Lager Auschwitz-Birkenau in einem digitalen Gästebuch festzuhalten. Diese Nachrichten, die in Auschwitz nach kurzer Zeit verblassen, werden digital nach Österreich übertragen und sind dort an unterschiedlichen öffentlichen Orten sowie auf der Website www.auschwitz.at sichtbar. So entstehen in Österreich immer wieder neue Orte der unmittelbaren Verbindung mit dem Gedenkort Auschwitz-Birkenau. Der erste Ort in Österreich, an dem diese Reflexionen veröffentlicht werden, ist das Salzburg Museum.

Foto: Parlamentsdirektion/Ulrike Wieser
Einweihung der Shoah Namensmauern Gedenkstätte in Wien
Am 9. November 2021 wurde in Wien die Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte eingeweiht. Der feierlichen Zeremonie im Ostarrichipark wohnten neben zahlreichen Gästen aus dem In- und Ausland Bundeskanzler Alexander Schallenberg, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Oskar Deutsch, die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Karoline Edtstadler sowie der aus Österreich stammende Holocaust-Überlebende und Initiator der Gedenkstätte, Kurt Yakov Tutter, bei.
Die über 64.000 in 160 Steintafeln gravierten Namen erinnern an die im Holocaust ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich und ehren ihr Leben. Eine eigene Tafel ist allen anderen vom NS-Regime Verfolgten gewidmet. Die Shoah Namensmauern sind ein Gedenkort und Lernort, und ein sichtbares Zeichen der historischen Verantwortung.
Auf Grund der historischen Bedeutung dieser Denkmalanlage übernehmen die Stadt Wien und der Nationalfonds die gemeinsame Verantwortung für den Erhalt und den laufenden Betrieb der Shoah Namensmauern-Gedenkstätte.
Foto: BKA/Andy Wenzel
Jüdische Friedhöfe
2021 konnten die Instandsetzungsarbeiten auf den jüdischen Friedhöfen in Baden, Klosterneuburg und Graz abgeschlossen werden. Am 8. November 2021 wurde der sanierte jüdische Friedhof in Klosterneuburg an die Stadtgemeinde übergeben, die für die nächsten 20 Jahre die Pflege des Friedhofs übernimmt.
In diesem Jahr genehmigte das Kuratorium Projektanträge für Instandsetzungen auf den jüdischen Friedhöfen in Linz, Wien-Währing, Oberstockstall und Waidhofen an der Thaya.
Im September 2021 brachte der Nationalfonds einen „Wegweiser für BesucherInnen der jüdischen Friedhöfe in Österreich“ heraus. Die zweisprachig auf Deutsch und Englisch erschienene Publikation wurde gemeinsam mit den Israelitischen Kultusgemeinden sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen erstellt und umfasst erstmals alle bekannten jüdischen Friedhöfe sowie Israelitische Abteilungen von Friedhöfen im gesamten Bundesgebiet.

Foto: Walter Reichl
Ausschreibung Simon-Wiesenthal-Preis 2021
Im August 2021 wurde erstmals der mit jährlich 30.000 € dotierte Simon-Wiesenthal-Preis für besonderes zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust ausgeschrieben. Bis 30. September langten 284 Bewerbungen aus über 30 Ländern weltweit über das Onlinebewerbungsformular auf der neuen Simon-Wiesenthal-Preis-Website www.wiesenthalpreis.at ein.
Die Einreichungen wurden von der Simon-Wiesenthal-Preis Jury geprüft und eine Vorschlagsliste möglicher Preisträger*innen erstellt, aus der das Kuratorium des Nationalfonds die Preisträger*innen 2021 auswählen wird. Aufgrund der aktuellen Lage in Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie musste die für November geplante Kuratoriumssitzung und damit die Entscheidung verschoben werden, sodass die Preisträger*innen voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres feststehen werden. Wir sind zuversichtlich, dass die Preisverleihung im Frühjahr 2022 in einer angemessenen und würdigen Form stattfinden kann.
Foto: Parlamentsdirektion / Thomas Jantzen
Projektförderungen
Dem Nationalfonds stehen jährlich 1,5 Millionen Euro für Projektförderungen zur Verfügung. Trotz Pandemie konnten die meisten geförderten Projekte durchgeführt werden; manche virtuell, manche mussten auch verschoben werden. Ein besonderes Augenmerk legen wir auf soziale und medizinische Programme. In der Sitzung des Kuratoriums des Nationalfonds am 28. Juni 2021 wurden 83 Projektförderanträge genehmigt. Weitere 60 Projekte wurden im Dezember per Umlaufbeschluss genehmigt.
2021 liefen Vorbereitungen, damit künftig die Einreichung von Projektförderanträgen über ein Online-Webformular möglich ist. Damit wird nicht nur die Antragstellung, sondern die gesamte Bearbeitung der Anträge, von der Einreichung über die Vorlage an Komitee und Kuratorium bis zur Veröffentlichung der geförderten Projekte auf der Website des Nationalfonds datenbankgestützt erfolgen.
Digitalisierung des Aktenbestandes
Der Aktenbestand des Nationalfonds und Allgemeinem Entschädigungsfonds ist einzigartig: In den rund 890 Laufmetern Akten sind Verfolgung und bürokratisch erfasste Entziehung, aber auch frühere Entschädigungs- und Rückstellungsmaßnahmen nach 1945 dokumentiert. Persönliche Dokumente von rund 40.000 Antragsteller*innen des Nationalfonds und des Entschädigungsfonds vermitteln einen lebendigen Eindruck von den Geschehnissen und ihrer Bedeutung – für die Betroffenen und für Österreich. Mithilfe einer maßgeschneiderten Digitalisierungssoftware werden über 6,3 Millionen Einzelblätter sukzessive digitalisiert und aufbereitet. An der Digitalisierung arbeiten Mitarbeiter*innen des Fonds, unterstützt von zwei Zivildienstleistenden. Die Digitalisierung dient nicht nur der Bestandssicherung, sondern wird künftig die Nutzung der Bestände für die Forschung erleichtern.

Foto: Nationalfonds/Georg Schenk
Nationalfonds „erster Passagier“ der Digitalen Arche
Im September 2021 wurde der Nationalfonds nach Abschluss eines Verwaltungsübereinkommens mit dem Bundeskanzleramt der erste Teilnehmer der digitalen Arche. Die Digitale Arche Österreich ist ein Zukunftsprojekt, mit dem die Kunst- und Kulturgutinformationen der Republik Österreich im zentralen Ausweichsystem des Bundes (sicheres Ausfallsrechenzentrum) in einem Bergwerk in St. Johann im Pongau gesichert werden und das die Aufrechterhaltung der essentiellen IT-Prozesse der österreichischen Verwaltung im Anlassfall sicherstellt. Somit ist eine zuverlässige Langzeitarchivierung der archivierten Daten des Nationalfonds gewährleistet.
Vermittlung
Vom 10. bis 14. November 2021 war der Nationalfonds zum dritten Mal als Aussteller auf der BUCH WIEN vertreten, die trotz Covid 19-Einschränkungen mehr als 41.000 BesucherInnen aus 32 Ländern verzeichnete. Vorgestellt wurde heuer die Neuerscheinung von Band 6 der Buchreihe „Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus“, herausgegeben anlässlich der neu eröffneten Österreich-Ausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Das zweibändige Werk erzählt vom „Überleben in Auschwitz“ und gibt in 20 autobiografischen Texten und Interviews von österreichischen Auschwitz-Überlebenden einen tiefen Einblick in Lageralltag, Tod und Überleben in Auschwitz. Am 13. November 2021 fand auf der Radio Wien Bühne eine Podiumsdiskussion zum Thema „Über-Leben in Auschwitz“ statt. Die Journalistin Alexia Weiss sprach dabei mit der Herausgeberin der Buchreihe „Erinnerungen“, Renate S. Meissner, sowie Hannes Sulzenbacher und Albert Lichtblau aus dem kuratorisch-wissenschaftlichen Ausstellungsteam über Buch und Ausstellung.
Im Oktober 2021 startete der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe gemeinsam mit dem Komitee zur Erhaltung des jüdischen Friedhofes Klosterneuburg ein Pilotprojekt mit Lehrer*innen, das die Vermittlungsarbeit auf jüdischen Friedhöfen fördert. Das Vorhaben wird von Stadt und Stadtarchiv Klosterneuburg unterstützt. So kann jüdische Geschichte als Teil der regionalen Geschichte verstanden werden und einen Platz im kollektiven Gedächtnis finden.

Foto: Nationalfonds
Unterstützung bei Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Holocaust-Überlebende und ihre Nachkommen
Auch 2021 unterstützte der Nationalfonds Nachkommen von NS-Opfern in Verfahren zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft. Seit 1. September 2020 ist der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft in einem vereinfachten Verfahren durch schriftliche Anzeige möglich – ein Angebot, das gerne angenommen wird. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt in enger Kooperation und in laufendem Austausch zwischen den Bundesministerien BMI und BMEIA, der IKG Wien und dem Nationalfonds, der gemäß § 58c Staatsbürgerschaftsgesetz der Wiener Magistratsabteilung 35 (MA35 – Einwanderung und Staatsbürgerschaft) im Verfahren als Sachverständiger und für Recherchen und Anfragen zur Verfügung steht. Gemeinsames Ziel ist es, die Nachkommen im Verfahren bestmöglich zu unterstützen. Die Historiker*innen des Fonds führten vertiefende Recherchen und Beurteilungen für die zuständigen Behörden durch. Zudem konnten zahlreiche Interessent*innen bei Fragen betreffend das Verfahren beraten werden. Die zuständige Wiener Landesregierung konnte bis zum 1. September 2021 mehr als 6.600 Verfahren positiv abschließen, knapp 4.000 Personen hatten zu dem Zeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft bereits formal erhalten.
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zeigten sich im Vollzug jedoch Fälle, die auf Basis des geltenden Wortlautes keine Berücksichtigung finden konnten. So waren beispielsweise jene Fälle nicht erfasst, in denen der Vorfahre von Organen der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen des Eintretens für die demokratische Republik Österreich ermordet oder ins Ausland deportiert wurde. Grund hierfür war, dass der geltende Gesetzeswortlaut voraussetzt, dass sich der Vorfahre, von dem sich die Staatsbürgerschaft ableitet, (quasi freiwillig) ins Ausland begeben hat. Anlässlich des einjährigen Bestehens der Bestimmung erfolgte daher eine Evaluierung der im Vollzug aufgetretenen Härtefälle, mit dem Ziel, durch eine legistische Adaptierung auch in diesen (bisher nicht erfassten) Fällen den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige zu ermöglichen. Ein entsprechender Fünfparteien-Antrag wurde am 16. Dezember 2021 in den Nationalrat eingebracht.
Betreuung der Überlebenden
Bis heute ist die Anerkennung und Unterstützung der Überlebenden eine der zentralen Aufgaben des Nationalfonds. Die weltweite Pandemie belastet die Lebenssituation der betagten Menschen schwer – der Bedarf an zusätzlichen Auszahlungen zur Unterstützung für Pflege und Betreuung hat sich seit Beginn der Pandemie verdreifacht. Um diesem gewandelten Bedarf Rechnung zu tragen, hat das Kuratorium die Möglichkeit geschaffen, an besonders bedürftige Überlebende mehr als die bisher möglichen drei Auszahlungen vorzunehmen.
Auch heuer war zusätzlich zur materiellen Unterstützung die mentale Begleitung besonders wichtig. Dank der ausgezeichneten Unterstützung und Zusammenarbeit mit Betreuungsorganisationen in Österreich und weltweit wurde wertvolle und dringend nötige Unterstützung möglich. Der Nationalfonds mit seinen Mitarbeiter*innen wird auch weiterhin für die aus Österreich stammenden Überlebenden des Holocaust weltweit nach besten Kräften zur Verfügung stehen.