Medizin-Universität Wien restitutiert Bücher nach Provenienzforschung

Die Medizin-Universität Wien hat am 30. September 2010 in einer Feierstunde 39 Bücher des ehemaligen Pathologie-Professors Carl Julius Rothberger an dessen Tochter Bertha Gutmann restituiert. Es ist die erste Rückgabe und Ausdruck der 2007 ins Leben gerufenen Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Medizin-Universität.

"Die heutige Feierstunde", so Generalsekretärin Lessing in ihrem Statement, "ist eine Anregung und Inspiration für andere Institutionen", denn die Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität habe ihre Aufgabe der Aufarbeitung ihrer Rolle in der NS-Zeit "ernsthaft und vorbildlich wahrgenommen". Lessing betonte, dass bei Restitutionen von entzogenen Objekten nicht der materielle, sondern vielfach der emotionale Wert im Vordergrund steht - die Erinnerungen und Gefühle, die die Betroffenen mit den Objekten verbinden.

"Viele Erinnerungen werden wieder auftauchen, die man glaubt vergessen zu haben", bestätigt auch die Tochter von Professor Carl Julius Rothberger, Bertha Gutmann, die erfreut ist, die Bücher nach über 70 Jahren "wieder zu haben, um sie zu lesen". Ihr Vater sei - dies zeigen die an die Tochter zurückgegebenen Bücher - nicht nur Wissenschafter, sondern auch Humanist gewesen. "Dass es geschehen ist, kann man nicht wieder gut machen und die Vergangenheit kann man nicht ändern", so Gutmann. "Das heisst aber nicht, dass nichts gemacht werden soll."

Die erste Restitution von enteigneten Büchern an der Medizinischen Universität ist das Ergebnis der seit 2007 betriebenen Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der MedUni Wien, die systematisch die Herkunft des Bibliotheksbestandes prüft. Die nunmehr an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegebenen 39 Bände, so Projektleiter Dr. Walter Mentzel, seien "Zeugen des Vertreibens und des Vergessens".

Historischer Hintergrund

Die Medizin war im Jahr 1938 eine "sehr exponierte Fakultät", wie der Rektor der Medizinischen Universität Wien erinnert. Die Einführung der Nürnberger Rassengesetze und die Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums in Österreich führten dazu, dass rund 50 Prozent der aktiven Hochschullehrer der medizinischen Fakultät entlassen wurden. Auch Professor Carl Julius Rothberger, der nach dem "Anschluss" als Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze galt, allerdings mit einer "Arierin" verheiratet war, wurde verhaftet und aus dem Lehrkörper entlassen.

In seiner Vermögensanmeldung vom Juni 1938 gab Rothberger an, dass er im Besitz einer medizinischen Bibliothek sei, die sich am Universitätsinstitut befand. Die von allen Juden verpflichtend auszufüllende Vermögensanmeldung, die heute im Österreichischen Staatsarchiv archiviert werden, sind für die heutige Provenienzforschung eine wichtige Quelle. So konnten auch im vorliegenden Fall die Bücher einem Vorbesitzer zugeordnet werden. Carl Julius Rothberger war es nicht vergönnt, das Ende des Nationalsozialismus mitzuerleben. Er kam gemeinsam mit seiner Frau genau sieben Jahre nach dem "Anschluss", am 13. März 1945, bei einem der letzten Bombenangriffe auf Wien ums Leben.