Gedenken an die Novemberpogrome 1938
Als Novemberpogrom, "Kristallnacht" oder "Reichskristallnacht" wurden die Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden und jüdisches Eigentum auf deutschem Reichsgebiet in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 bezeichnet. Diese wurden als „spontane“ Reaktion der Bevölkerung auf das Attentat des 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath in Paris am 7. November 1938 dargestellt.
Erinnerungen von Opfern des Nationalsozialismus
Viele Überlebende des NS-Regimes, die dem Nationalfonds ihre Lebensgeschichte anvertraut haben, nehmen in ihren Erinnerungen Bezug auf dieses Datum und schildern die Ereignisse des Novemberpogroms im Hinblick auf ihre eigene Familiengeschichte:
„Schwere Stiefeltritte gegen die Eingangstür. ‚Schnell! Öffnen!‘ Fliege auf den Boden, da man mich aus dem Bett reißt. Es geht drunter und drüber. Papa wird gesucht.“
Chava Guez, Damals, in der schönen Stadt Wien
„Zur Zeit der ‚Reichskristallnacht‘ waren meine Mutter und ich vier Tage in Haft. Meine Mutter und ich wurden aus unserer Wohnung gekündigt, kurz vor meiner Ausreise. Meine Mutter verlor dann unser Hab und Gut, wurde 1943 deportiert und ist verschollen.“
Norbert Abeles, Ich glaube, dass ich im Großen und Ganzen noch Glück gehabt habe ...
„Mein Vater wollte und dachte nie daran, Wien zu verlassen, aber am 10. November 1938 [3] ca. um 18 Uhr abends kamen zwei SS-Männer und nahmen meinen Vater mit Gewalt von zu Hause weg. Als ich zu weinen anfing, nahm einer seinen Revolver heraus und schrie: ‚Wenn die nicht aufhört, erschieß ich sie!‘“
Gerda Bursztyn, Zug nach Bolivien
„Ich habe den 10. November in Wien miterlebt, und auch wenn es im fremden Land schrecklich sein sollte, Kinder, nach diesem Tag scheint nichts mehr schrecklich und unerträglich sein zu können. Erinnert ihr euch, es war ein kalter, sonniger Tag. Ich ließ euch nicht in die Schule gehen. Die Zeitungen waren voll mit Anschuldigungen. Alle Juden seien schuldig und sich ihrer Schuld bewusst. Man sah sie die Häuser entlang schleichen, wir hatten alle Angst. Am Morgen ging ich zu meinem Kurs, die Straße war um diese Zeit ruhig. Eine Stunde später, am Nachhauseweg, war alles anders. Auf der Straße waren schreiende Menschenhorden. An einer Ecke wurde eine Gruppe übel zugerichteter Juden in eine Nazi-Zentrale getrieben. In der nächsten Straße wurden Geschäfte geplündert, Fenster gingen klirrend zu Bruch, und ich habe Angst, weiterzugehen.“
Lizzy Jalkio, Jeder Tag ist ein Abschied, veröffentlicht im ersten Band der Buchreihe "Erinnerungen".
"Der Anschlussbegeisterung folgte bald die Ernüchterung. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Wien die Tempel und Synagogen. In Wien begann die Judenverfolgung. Ihre Geschäfte und ihre Wohnungen wurden geplündert. Von den Schulen und Universitäten wurden sie verjagt und vom öffentlichen Leben total ausgeschlossen. 1941 wurden sie mit dem Davidstern gebrandmarkt, erbarmungslos, auch Kinder ab dem sechsten Lebensjahr. Auf den Parkbänken war zu lesen: "Nur für Arier, für Juden verboten." Der Regen spülte im Laufe der Zeit diese Kulturschande von den Parkbänken, an die sich nach 1945 keiner mehr erinnern konnte. Auch die verängstigten kleinen Kinder mit dem gelben Stern waren aus dem Gedächtnis verschwunden."
Friedrich Zawrel, Am Spiegelgrund hörte ich zum ersten Mal: "De Nazi drahn olle Deppatn ham."
„In der Kristallnacht, vom 9. auf den 10. November 1938, wurde mein Vater, wie viele Glaubensgenossen, auf der Straße verhaftet, in die Karajangasse gebracht und von dort ins KZ nach Dachau verschleppt. In derselben Nacht wurden wir gewaltsam delogiert. Um 3 Uhr Früh zwang man uns – meine Mutter, meinen kranken Großvater und mich –, die Wohnung sofort zu verlassen, und man gab uns eine knappe Stunde Zeit, um die nötigsten Sachen wie z.B. Matratzen in ein einziges Zimmer zu schleppen, welches uns zwei Stock tiefer bei einer anderen jüdischen Familie angewiesen wurde. Alle jüdischen Mieter des Hauses wurden in einer einzigen Wohnung zusammengepfercht, jede Familie in einem Zimmer. Unsere Wohnung wurde versiegelt.“
Ernst Otto Allerhand, Ein fremdes, fernes, unbekanntes Land
„Im November 1938 wurden viele jüdische Männer verhaftet. Auch mein Vater war dabei; wir wussten es nicht. Meine Mutter hat mich beauftragt: ‚Bitte komm, such den Papa, vielleicht, ich weiß nicht, er ist Mittag nicht nach Hause gekommen. Es muss ihm irgend etwas passiert sein. Schau einmal bei allen Bekannten nach und geh am Abend, dann, wenn du nichts erfahren hast, zur Polizei.‘ So wie gesagt, habe ich es durchgeführt. Am Abend ging ich dann auf das Bezirkskommissariat Tannengasse im 15. Bezirk und fragte: ‚Ist mein Vater da?‘ ‚Wie heißt er?‘ ‚Julius Finsches.‘ ‚Jo, den hamma do, und wer bist du?‘ ‚Der Sohn.‘ ‚Aha, auf di' hamma ja schon gwart, dann kum glei' eine, kum glei' her.‘ Der Empfang war, nach alter herkömmlicher Art der Nazis, eine richtige, anständige Tracht Prügel.“
Erich Richard Finsches, Auf dich haben wir schon gewartet ...