Vera Bezecná

Das Jahr 1938 brachte tiefes Leid über unsere Familie

Věra Bezecná wurde am 18. Februar 1922 als Angehörige der tschechischen Minderheit in Wien geboren. Ihr Vater Eduard Vencl war Mitbegründer des tschechischen Schulwesens in Wien und Professor an einer tschechischen Mittelschule des Komenský-Vereins. Mit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich begann auch die Verfolgung der tschechischen Minderheit. Übergriffe auf Einzelpersonen, Restaurants, Geschäfte und Schulen waren an der Tagesordnung. Angestellte des öffentlichen Dienstes mussten ihre Kinder aus den tschechischen Schulen nehmen, wenn sie ihren Posten behalten wollten. Das tschechische Schulwesen wurde zerschlagen und tschechische Vereine und Institutionen zum größten Teil aufgelöst. Auch Věra Bezecnás Vater wurde aus dem Schuldienst entlassen.

Ende des 19. Jahrhunderts, in der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, kamen meine Großeltern Josef Vencl und Marie, geb. Fischer aus Böhmen nach Wien, um sich dort als Arbeiter niederzulassen. Mein Vater Eduard, geb. in Wien am 10. Februar 1890, eines der vier Kinder, promovierte an der Wiener Universität und diente während des Ersten Weltkrieges als österreichischer Offizier an der Front, wo er schwer verletzt wurde.

Im Jahre 1919, nach der Gründung der tschechischen Schulen des Schul- vereines Komenský, war er dort als Mittelschulprofessor tätig. Seine Tätigkeit endete im Herbst 1938, als der damalige kommis- sarische Leiter Dr. Appelt kein weiteres Dienstverhältnis be- willigte. [...] Mein Vater wurde damals gewarnt und ihm dringend empfohlen, so schnell als möglich die "Ostmark" zu verlassen. Aufgrund der damaligen sehr gespannten Lage wurde ihm ein tschechoslowakischer Pass ausgestellt – bis zu diesem Datum war er österreichischer Staatsbürger seit seiner Geburt. Dieser Pass sollte ihn vor einer Inhaftierung schützen. Die damals noch existierende Tschechoslowakei war das einzige Aufnahmeland, er hatte keine Möglichkeit, in die USA oder ein anderes Land zu flüchten. Vater gehörte zur Spitze der Wiener Tschechen, über deren Inhaftierung sogar im Jahre 1938 die britische Presse berichtete.

Meine Mutter Marie Vencl, geb. Führing und ich mussten noch in Wien bleiben bei ihren Eltern, bis es meiner Mutter gelang, im Juni 1939 die Auswanderungs- genehmigung von den Nazibehörden zu erlangen. [...] Im Protektorat [1] konnte ich nicht studieren, und unsere ganze Familie hatte während des Zweiten Weltkrieges die so genannte Ostmarksperre, was besonders für unsere Familie hart war, da hier meine sehr alten Großeltern lebten. Diese lebten im von Bomben vernichteten Wien und durften nicht nach Prag zur Tochter, die Protektoratsangehörige war.

Das Jahr 1938 brachte ein tiefes Leid über unsere ganze Familie ...

Ende des Zeiten Weltkrieges gab es in der ČSR bis zum Jahre 1948 Demokratie, aber dann eine neue Diktatur, und meine Mutter durfte nicht einmal zum Begräbnis ihrer Eltern nach Wien. Und ich studierte Jura an der Karlsuniversität, aber der kommunistische Putsch schickte Studenten in Gefängnisse, und jetzt, nach mehr als 60 Jahren, kann ich mit Stolz sagen, dass ich im Gefängnis Ruzynĕ war wie der tschechische Präsident Havel!

Aus einem Brief von Dr.in Věra Bezecná:

Ich möchte mich für diese Nachzahlung [des Nationalfonds] bedanken. Gleichzeitig möchte ich mein warmes Gefühl zu meiner gewesenen Heimat ausdrücken, die ich im Jahre 1938 verlassen musste und zu der ich die Verbindung nie verloren habe. Seitdem wohne ich in Tschechien, und das sich vereinende Europa hilft mir, meine Zweigeteiltheit zu überwinden.

[1] Böhmen und Mähren.