Bartholomäus O.

Vor Schreck brachte ich kein Wort mehr heraus

Der Kärntner Slowene Bartholomäus O. wurde 1936 als fünftes von acht Kindern geboren. Seine Eltern besaßen eine kleine Landwirtschaft, der Vater musste als Forstarbeiter noch dazuverdienen. Herrn O.s Kindheit war geprägt von einer schrecklichen Angst – vor der Schule, wo er nur noch deutsch sprechen durfte, und vor den uniformierten Polizisten, die ihn misshandelten und den Hof der Familie bewachen ließen, um deren Unterstützung der PartisanInnen aufzudecken. Aus Furcht vor Fremden am Hof wagte er es nicht, nach Hause zu gehen, was – neben den psychischen Belastungen – eine schwere Erkrankung mit lebenslangen Folgen nach sich zog.

Schwarz-weiß-Foto: Zwei Männer zerlegen ein geschlachtetes Schwein.
Zwei Wehrmachtsangehörige zerlegen ein geschlachtetes Schwein, 1941. (c) ÖNB/Heydecker

Mein Vater hieß Bartholomäus O. und wurde am 27. Juli 1896 geboren. Meine Mutter war Helene, geb. P. am 2. Mai 1900. Mein Vater war Forstarbeiter bei der Firma Lasch. Die Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft vom Großvater geerbt und lebten in Zell-Freibach. Da der Vater bereits zu alt war, um zur Deutschen Wehrmacht einberufen zu werden, musste er in Zell-Pfarre Dienste in der Flugabwehr leisten. So schlief er oft einige Tage in der Woche auswärts, und die Mutter war mit uns Kindern alleine zuhause. Ich war das fünfte von acht Kindern.

1942 kam ich in die Volksschule. Da zuhause nur slowenisch gesprochen wurde, tat ich mir sehr schwer in der Schule. Im ersten Jahr hatte ich noch eine Lehrerin, die Verständnis für diese Lage hatte. Im zweiten Schuljahr wurde es aber immer schlimmer. Über dem Schulraum waren im ersten Stock des Gebäudes Polizisten untergebracht. Als ich einmal in der zweiten Klasse an der Tafel stand, löste sich im Obergeschoß ein Schuss, und die Kugel schlug durch den Plafond durch und direkt neben mir und der Lehrerin in der Tafel ein. Sie hat uns nur um einige Zentimeter verfehlt. Vor Schreck brachte ich kein Wort mehr heraus. Aber auch die Lehrerin ist vor Angst umgefallen. Ich bekam solche Angst vor der Schule, dass ich jeden Tag weinte und zitterte, wenn ich das Schulgebäude betreten musste.

Einige Tage später kam ich in der Früh mit großer Abneigung wieder zur Schule. Am Platz vor dem Schulgebäude standen in Reih und Glied viele Polizisten aufgestellt. Es war verpflichtend, jeden einzelnen mit gestreckt erhobenem Arm im Hitlergruß zu grüßen. Ich ging an ihnen vorbei und grüßte, wie man mich in der Schule gelehrt hatte. Anscheinend machte ich etwas falsch, denn auf einmal trat ein Polizist aus der Reihe hervor und gab mir eine massive Ohrfeige, so dass ich hinflog und aus der Nase sowie aus dem rechten Ohr blutete. Der Polizist packte mich, stellte mich wieder hin und sagte: "Sag jetzt, wie grüßt man den Führer richtig?" Ich streckte den Arm hoch und schrie laut: "Heil Hitler!", dann jagte er mich davon. Nun wollte ich überhaupt nicht mehr zur Schule, ich konnte mich nicht konzentrieren und hatte immer nur fürchterliche Angst.

Eines Tages im Winter ging ich wieder von der Schule nach Hause. Kurz vor dem Elternhaus sah ich Polizisten entlang der Straße marschieren. Ich bekam es mit einer solchen Angst zu tun, dass ich, um ihnen nur ja nicht in den Weg zu kommen, über den Freibach, der kalt und teils zugefroren war, hinüberging und auf der anderen Seite den Hügel hinauf, obwohl ich fast bis zum Hals im Schnee versank. Ich ging dann den Wald entlang zum Elternhaus. Als ich vor der Türe stand, hörte ich drinnen mir unbekannte männliche Stimmen. Ich dachte, das wären die Polizisten. So flüchtete ich total durchnässt in die Scheune und versteckte mich. Da wurde ich dann ohnmächtig. Meine Mutter machte sich bereits Sorgen, da ich nicht nach Hause gekommen war. Sie sah hinaus und sah Fußspuren, die vom Wald zur Scheune führten. Dadurch fand sie mich. Ich bekam eine schwere Lungen- und Hodenentzündung. Immer wieder verlor ich das Bewusstsein. Da der Arzt nicht kommen wollte oder konnte, zündete meine Mutter bereits am Bett Kerzen an. Sie dachte, dass ich das nicht überleben werde, und sie betete und betete. Schließlich erholte ich mich langsam, litt aber unter fürchterlichen Schmerzen und war daher nicht mehr imstande, in die Schule zu gehen. Aus diesem Grund kam ich über die zweite Schulklasse nicht hinaus.

Seit 1943 kamen immer wieder die Partisanen bei uns vorbei, um Nahrungsmittel zu holen. Sie kamen meist abends oder in der Nacht, ganz still und leise. Meine Eltern hatten selbst nicht viel, aber sie gaben davon jedoch ab, was sie konnten. Es war aber strengstens verboten, Partisanen zu unterstützen.

Eines Tages gab der Vater den Partisanen ein Schwein. Dies wurde jedoch verraten, und so kam die Gestapo und verhaftete ihn. Man brachte ihn nach Klagenfurt und verhörte ihn drei Tage lang. Dabei wurde er misshandelt, gestoßen und geschlagen. Er aber sagte immer wieder, dass die Partisanen dieses Schwein mit Gewalt mitgenommen hätten und er sich nicht hätte wehren können. Nach drei Tagen kam er frei, wurde aber danach ständig von den Polizisten beaufsichtigt und kontrolliert. Polizisten kamen dann oft auf den Hof, durchsuchten das Haus nach Beweisen für eine Partisanenunterstützung. Ich fürchtete mich immer sehr und versteckte mich oft unter dem Bett. Die Eltern wurden dabei regelmäßig verhört und waren dementsprechend verzweifelt und verängstigt.

Gegen Ende des Krieges kamen versprengte Truppenteile, unter anderem Ustascha [1] und Weißgardisten [2], vorbei. Sie bedienten sich mit Gewalt an unserer Nahrung, insofern man ihnen etwas nicht freiwillig gab. Dabei legten sie uns auch ihre Gewehre an. Sie fanden unseren Kartoffelvorrat und nahmen uns alles weg. Auch um die Milch rauften sie untereinander.

Bartholomäus O. erlitt durch die persönliche Verfolgung und Misshandlung durch die Nationalsozialisten schwere körperliche und psychische Schäden, die ihn bis heute stark einschränken.

[1] Mit dem Deutschen Reich kollaborierende kroatische faschistische Bewegung.
[2] An der Seite des Deutschen Reiches kämpfende antikommunistische Einheiten.