Giulia Hine

Dezember 1938 in der Schweiz

Giulia Hine wurde am 30. September 1925 als Tochter von Mia Hasterlik-Koritschoner und Julius Koritschoner, einem Geschäftsmann und Industriellen, in Wien geboren. Bis zum Tod ihres Vaters im Jahr 1928 lebte die Familie hier in großbürgerlichen Verhältnissen.

Nach den nationalsozialistischen „Nürnberger Gesetzen“ war Giulia Hine jüdischer Abstammung. Sie gelangte im Dezember 1938 in die Schweiz und lebt heute in den USA. Ihre Mutter konnte 1939 nach England flüchten und wanderte noch während des Krieges in die USA aus. Susanne Wolff, die Halbschwester von Giulia Hine aus der ersten Ehe ihrer Mutter mit Ernst Weiss, flüchtete im Alter von 18 Jahren nach Kenia. Ihr Großvater Dr. Paul Hasterlik wurde nach Theresienstadt deportiert, wo er starb. Ihre Tante Auguste Hasterlik, die mit dem österreichischen Schriftsteller Heimito von Doderer (1896–1966) verheiratet war, konnte in die USA flüchten.

Unter ww2.fsu.edu/collections/hine-collection ist eine umfangreiche Brief- und Dokumentensammlung der Familie Hasterlik – eine Schenkung von Giulia Hine an die Florida State University – online einsehbar.

Meine Mutter setzte mich im Dezember 1938 in der Schweiz ab. Das Schweizer Kinderhilfswerk platzierte mich dann bei verschiedenen Familien. Als ich 16 Jahre alt war, hatte ich Kinderlähmung und musste die Schule unterbrechen. 1943 beendete ich die Realschule. Ich wollte danach gerne die Laboranten-Schule, Inselspital [1], besuchen. Der Vorstand der Schule ließ mich als Emigrantin aber nicht zu. Bis zu meiner Auswanderung in die USA 1946 war ich dann Dienstmädchen.

Meine Mutter flüchtete über England in die USA. Meine Schwester kam nach Nairobi, Kenia. Mein Großvater starb in Theresienstadt. Mein Vater starb schon 1928.

In einem Brief an den Nationalfonds erinnert sich Giulia Hine an die eigens für ihre Familie vom österreichischen Architekten Franz Singer (1896–1954) angefertigten Möbelstücke.

Bis zum „Anschluss“ März 1938 war in meiner Mutter und Großvaters Besitz eine nicht mehr ganz komplette Möbeleinrichtung, die 1925 eigens für meine Eltern angefertigt wurde. Und zwar von dem Bauhaus-Architekten [2] Franz Singer für Julius Koritschoner, Johann-Strauß-Gasse. Meine Mutter flüchtete 1939. Aber ihr Vater, Obermedizinalrat Dr. Paul Hasterlik, blieb zurück. Vor ihrer Ausreise übersiedelte meine Mutter die Singer-Möbel zu ihrem Vater. Mein Großvater wurde später gezwungen, in eine kleinere Wohnung zu übersiedeln, dann zuletzt in einen Keller in der Nußdorfer Straße, von wo er nach Theresienstadt deportiert wurde und starb. Die Franz-Singer-Möbel waren zuletzt in seinem Besitz, aber was dann mit ihnen geschah, weiß ich nicht.

Das lebensgeschichtliche Interview mit Susanne Wolff, der Halbschwester von Giulia Hine, wurde in der vom Nationalfonds herausgegebenen Buchreihe „Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus“, Band 3 (Wien 2013) veröffentlicht.

[1] Bedeutende Universitätsklinik in Bern.
[2] Berühmte deutsche Kunstschule in den 1920er- und 1930er-Jahren.