Karl Fox

Meine Kindheit in Wien

Ich wurde 1925 im 3. Bezirk geboren. Als ich noch sehr klein war, sind wir nach Rudolfsheim, dem 15. Bezirk, übersiedelt. Dort bin ich in die Schule gegangen, bis ich zwölf Jahre alt war. Nach dem "Anschluss" im März 1938 wurden alle jüdischen Kinder aus dem regulären Schulunterricht entfernt und mussten in eine jüdische Schule gehen. Unsere war in der Stumpergasse. Nach einem halben Jahr mussten wir aufgrund der Bedrohungen auf dem Schulweg zu Hause bleiben. Im Juni 1939 gingen wir illegal nach Belgien.

 

Bis zum "Anschluss" an das "Dritte Reich" genossen wir alle Dinge, die Kinder so machen. Im Sommer unternahmen wir Ausflüge in den Wienerwald und ins Gänsehäufel. Wir gingen zum Drachenfliegen auf die Schmelz, und in den Ferien fuhren wir ins Burgenland oder nach Payerbach-Reichenau. Im Winter gingen wir zum Flötzersteig Schlittenfahren und zu den Tennisplätzen auf der Schmelz, die im Winter zum Eislaufen präpariert wurden. Während der Schule gingen wir, nachdem wir die Hausaufgaben erledigt hatten, fast jeden Tag auf den Meiselmarkt zum Fußballspielen. Ich gehörte zur jüdischen Jugendgruppe Barak.

An den hohen Feiertagen gingen wir in den Tempel in der Turnergasse, ansonsten in ein Bethaus in der Sturzgasse, das näher an unserer Wohnung lag. Mein Vater verlor seine Fabrik am Anfang der großen Weltwirtschaftskrise, und so waren wir nicht reich, aber glücklich, bis der "Anschluss" kam.

Ich erinnere mich daran, als 1934 der Bürgerkrieg ausbrach, spazierte ich mit meinem Vater gerade in Richtung Gürtel, und als plötzlich das Gewehrfeuer ausbrach, zog mich mein Vater schnell in einen Hauseingang, und wir warteten dort für einige Zeit, bis die Schüsse aufhörten. Ich denke mir heute, das war das erste faschistische System, das an die Macht kam. Bei diesem Aufstand wurde das Arbeiterheim auf der Schmelz, wo wir ja wohnten, beschossen und zerstört. Wir sahen es auf dem Weg in den 16. Bezirk, nach Ottakring.

Der Prater war unser bevorzugtes Ausflugsziel, wir genossen es jedes Mal dort, manchmal besuchten wir den Zirkus Busch und den Wanderzirkus Rebenik oder den sehr großen deutschen Zirkus Sarasani, der auf der Schmelz errichtet wurde. All das verschwand mit dem "Anschluss" an das "Dritte Reich".

Nach dem Anschluss

Und jetzt eine kurze Zusammenfassung, was mit uns geschah, als wir Wien im Juni 1939 verlassen mussten:

Als wir in Belgien ankamen, mussten meine Schwester Margit und ich dort in die Schule gehen. Belgien wurde 1940 auch von den Deutschen besetzt. Im Oktober 1942 verhaftete die Gestapo meinen Vater, meine Schwester Edith und mich. Meine Schwester Margit war schon auf dem Weg zur Arbeit und kehrte dank einer Warnung nicht in die Wohnung zurück. Sie konnte in Verstecken den Krieg in Brüssel überleben. Wir wurden via Malines nach Auschwitz deportiert, wo mein Vater Nathan und meine Schwester Edith ermordet wurden. Ich wurde in Buchenwald am 11. April 1945 befreit, und um mich vom Typhus zu erholen, kehrte ich nach Brüssel zurück. Dann wartete ich in London auf mein Einwanderungsvisum für Neuseeland, das mein Bruder, der bereits in Neuseeland lebte, für mich arrangierte. Ich kam im Juli 1948 in Neuseeland an und lebte dort, bis ich 1987 nach Sydney, wo meine Kinder leben, übersiedelte, und dort lebe ich noch heute.

Neuseeland war für mich der Zufluchtsort, in dem ich frei und willkommen war, weit weg von jenen Orten, wo all das Schreckliche passiert ist.