Katharina W.

"Kärntner sprich Deutsch"

Ich wurde am 4. November 1935 als zehntes von insgesamt zwölf Kindern geboren.

Mein Vater war von Beruf Schuhmacher und besaß eine kleine Landwirtschaft. Zum Überleben hielten wir vier Kühe, Schafe und zwei Schweine.

Mit dem Krieg verschlechterte sich die Lebenssituation der Familie.

Obwohl meine Mutter zwölf Kinder gebar, erhielt sie kein Verdienstkreuz [1], da sie sich zur slowenischen Volksgruppe bekannte. Zwei meiner Brüder wurden zur Deutschen Wehrmacht einberufen. Mein Vater war schon seit dem Ersten Weltkrieg Invalide (sein rechtes Bein war verkürzt) und blieb somit zu Hause.

1941 kam ich in die Volksschule nach Zell-Pfarre. Zu Hause wurde nur slowenisch gesprochen, und auf einmal war alles nur deutsch. Ich verstand kein Wort. Die Lehrerin nahm überhaupt keine Rücksicht auf uns Kinder, aber für jeden noch so geringen Fehler gab es Strafaufgaben. Ich musste nachsitzen und unzählige Male den Satz "Kärntner sprich deutsch" schreiben. Nicht einmal in den Pausen durften wir Kinder miteinander slowenisch sprechen. Wenn die Lehrerin dies hörte, dann gab es immer Strafen.

Sie erstattete auch Meldung dem Gauleiter [2], dass meine Geschwister und ich nur slowenisch sprechen. Unsere Mutter musste zu ihm nach Ferlach, und er drohte ihr, uns auszusiedeln [3], da er dachte, dass die Mutter uns verboten hat, deutsch zu sprechen.

Zu Hause herrschte ein Mangel an Geld und Essen, und so mussten wir Kinder, wenn es keinen Schulunterricht gab, zu den Nachbarn arbeiten gehen, um etwas zum Familienunterhalt beizusteuern. Meist war dies ein Stück Brot oder Mehl. Mit sieben Jahren habe ich Kühe und Schafe geweidet, auf den Wiesen gearbeitet und auf Kinder aufgepasst.

1942 wurden einige unserer Verwandten eingesperrt und danach ausgesiedelt. Meine Eltern fürchteten sich sehr, und diese Angst spürten auch wir Kinder.

Die [slowenischen] Partisanen kamen immer wieder zu uns. Meine Eltern unterstützten sie nicht nur mit Nahrungsmitteln. Da nun der Vater zu Hause war, brachten sie oft Leder, und der Vater schusterte ihnen Stiefel für den Winter. Einmal, da hatte er für sie sechs Paar neue Stiefel unter dem Bett, hinter einem Wagen, in welchem die jüngsten Kinder schliefen, versteckt. Es kam die Polizei und durchsuchte das gesamte Haus. Sie zogen auch diesen Wagen heraus, und doch sahen sie die Stiefel nicht. Ein Polizist sagte noch: "Das sind lauter arme Teufel", und sie verließen das Haus.

Die Partisanen haben aber auch Läuse mitgebracht. Da sie sich viel bei uns im Hause aufhielten, juckte es auf einmal überall. Die Mutter hat mir die Kopfhaut mit Petroleum so oft eingerieben, dass ich eine schwere Entzündung der Kopfhaut bekam. Es fielen mir alle Haare aus, und bis heute habe ich ganz schütteres Haar. Die Kopfhaut schmerzt immer noch, und deshalb konnte ich nie eine Dauerwelle machen.

Es gab auch ständig Hausdurchsuchungen durch die Polizei oder Gestapo. Sie verhörten uns und waren immer sehr grob. Einige Male musste sich die ganze Familie im Hof aufstellen, und wir wurden mit den Gewehren im Anschlag bewacht. Die Gestapo aber durchsuchte das gesamte Hab und Gut. Nachts kamen die Partisanen und bei Tag die Polizisten. Die Partisanen wurden von uns bedient, und die Polizisten/Gestapo bedienten sich selbst.

Ein Bruder meines Vaters flüchtete mit dem Beginn des Weltkrieges nach Jugoslawien, und als Hitler da einmarschierte, kam er heimlich über die Grenze zurück. Er versteckte sich bei uns auf der Tenne mindestens ein Jahr lang. Es gab Kontrollen durch die Polizei, sie waren immer auf der Suche nach ihm. Meine Eltern wurden immer wieder verhört, und sie fragten auch uns Kinder, ob wir den Onkel gesehen hätten. Die Eltern hielten dies auch vor uns kleinen Kindern geheim. Sie hatten Angst, wir könnten uns verplappern. Wenn man in diesem Jahr den Onkel entdeckt hätte, wäre es um uns alle geschehen. Mitte 1942 gelang es dann dem Onkel, Kontakt zu den Partisanen zu bekommen, und schließlich verließ er uns und ging zu den Partisanen. Er war in einem Bunker in Zell-Pfarre. Als dieser Bunker im Dezember 1942 von der Gestapo ausgehoben wurde, wurde mein Onkel dabei verwundet. Schließlich verurteilten sie ihn zum Tode, brachten ihn nach Wien und enthaupteten ihn am 29. April 1943.

Als man unseren Onkel festgenommen hatte, hatte man auch ein Tagebuch eines Partisanen gefunden, in welchem stand, dass auch mein Vater die Partisanen unterstützte. Am 8. Dezember 1942 – während eines Einkaufs in Ferlach – hat man meinen Vater verhaftet und in das Gestapo-Gefangenenhaus in Klagenfurt eingeliefert. Da wurde er malträtiert, und einige Male war er ganz blau am Körper. Als er während einer Bombardierung zur Strafe, weil er als Küchengehilfe die Kartoffelschalen gegessen hatte, nicht mit den anderen Häftlingen in den Keller durfte, erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Von diesem Erlebten erholte er sich sein Leben lang nicht mehr. Meine ältere Schwester, die ihn jede Woche besuchte, erzählte uns, wie fertig er war. Ich war nur einmal bei ihm. Als er mich auf seinen Schoß nahm, versuchte ich, ihm ein wenig Speck, welchen ich in der Rocktasche trug, zu geben. Aber ein Gestapo-Mann saß uns vis-a-vis und beobachtete uns ununterbrochen. So schaffte ich es nicht, dem Vater diesen Speck zu geben. Der Vater zitterte ganz stark am ganzen Körper, und so auch ich mit ihm. Später machte ich mir Vorwürfe, dass ich ihm damals nicht helfen konnte.

Eines Tages kam uns zu Ohren, dass der Vater mit dem nächsten Häftlingstransport in ein KZ-Lager gebracht würde. Es gelang jedoch meiner älteren Schwester, den zuständigen Gestapo-Mann zu bestechen. Sie organisierte zu Hause große Mengen an Fleisch – frisches, Geselchtes, Würste und Schnaps. Dies übergab ich ihm und erreichte damit, dass mein Vater in Klagenfurt im Gefangenenhaus blieb und Ende Dezember 1943 entlassen wurde. Er war aber psychisch am Ende und hat sich bis zu seinem Tod nicht mehr erholt.

Während seiner Inhaftierung wurden noch zwei weitere Brüder zur Deutschen Wehrmacht einberufen. 1943 fiel der erste in Russland und dann gegen Ende des Krieges der zweite.

[1] Das "Ehrenkreuz der Deutschen Mutter", später auch unter "Mütterverdienstkreuz" bekannt, wurde vom NS-Regime an "arische" Frauen verliehen, die zumindest vier Kinder geboren hatten (Bronze). Ab sechs Kindern wurde das silberne Ehrenkreuz vergeben, ab acht das goldene.
[2] Es handelt sich hier wahrscheinlich um einen örtlichen NS-Funktionär, möglicherweise den NSDAP-Ortsgruppenleiter von Ferlach. Gauleiter von Kärnten - mit Sitz in Klagenfurt - war bis Ende 1941 Franz Kutschera (stv. Gauleiter), danach Friedrich Rainer (Gauleiter und Reichstatthalter).
[3] Im April 1942 wurden in einer Großaktion tatsächlich rund 1.000 Kärntner Sloweninnen und Slowenen "ausgesiedelt" und ins "Altreich" deportiert, wo die meisten von ihnen bis Kriegsende in Lagern leben mussten.