Andreas H.

Geboren im Lager Lackenbach

Ich, Andreas, bin im KZ (Zwangsarbeiter- und Deportationslager) in Lackenbach, Mittelburgenland, am 1. Februar 1942 in einer Holzbaracke geboren.

Ich darf, wenn Sie erlauben, erwähnen, dass es Mitte der 1930er-Jahre ca. 11-15.000 statistisch erfasste Roma und Sinti in Österreich gab, die aus rassistischen Gründen zu Tausenden im Namen der "Endlösung" deportiert oder vernichtet wurden, vor Hunger und Durst, aufgrund von Krankheiten oder bedingt durch die schwere Arbeit in den Steinbrüchen starben oder aber schon oft vor dem Ankunftsort in den Waggons erstickten oder unterwegs zu Hunderten aussteigen mussten, in Wälder gebracht und dort von speziellen SS-Truppen erschossen wurden. [1]

Wie ich von meiner Mutter und meinen älteren Geschwistern weiß, war das Lager Lackenbach gleich allen anderen "KZs" in Deutschland, Österreich und Polen ausgestattet, nur waren keine Öfen und Krematorien zur Vergasung der Menschen installiert. [2] Daher wurden auch täglich um 6 Uhr beim Appell stehende Frauen, Männer und Kinder ausgewählt und zum Transport in die großen "KZs" verladen und abtransportiert. Bei dieser täglichen "Zeremonie" waren natürlich die SS-Truppe wie auch ihre Killerhunde anwesend. Eines Tages hatten mein älterer Bruder und sein Freund am Heimweg von ihrer Zwangsarbeitsstelle aus Hunger zwei Maiskolben gestohlen, wurden aber dabei ertappt und von der SS in das Lager gebracht, wo sie mit einem Ochsenschwanzknüppel 50 Hiebe über Rücken, Beine und Po bekamen. Sie konnten nach diesen Schlägen 14 Tage lang nicht zur Arbeit gehen und bekamen nur einmal am Tag Krautsudsuppe und ein Stück Brot vorgewogen. Sie waren damals erst 14 Jahre alt, und nur der starke Wille zu leben erhielt sie am Leben. Oder wenn jemand zu spät zum Appell in der Früh kam, so bekam er 25 Stockhiebe und drei Tage nichts zu essen sowie hinterher eine besondere Strafarbeit, Latrine reinigen, etc. Wenn jemand z.B. beim Straßenbau aufgrund der geringen und mangelhaften Ernährung nicht mehr die Kraft hatte mitzuhalten und zusammenbrach, wurde er an Ort und Stelle erschossen. So könnte man die Liste der Gräueltaten fortführen, die im Zeitraum von 1941 bis 1945 im Lager Lackenbach ausgeführt wurden, bis das Lager durch die Russen befreit wurde. Auch möchte ich die unhygienischen Zustände in den Baracken aus Holz erwähnen, wo sich Flöhe, Läuse und Wanzen, vor allem in der kalten Zeit, in den Holzpritschen verkrochen und nachts den Häftlingen das Blut aussaugten und sie infizierten. Haut-Kopftyphus war daher an der Tagesordnung, und viele Menschen starben daran. Eine ebenso häufige Todesursache waren der Bauchtyphus und die Ruhr, Krankheiten, die viele Häftlinge aufgrund der schlechten und mangelhaften Ernährung bekamen.

Vom Haus in Mörbisch ins Lager

Auch möchte ich erwähnen, dass damals das Haus, welches in Mörbisch die dritte Generation väterlicherseits in Besitz hatte, nämlich meine Großeltern Antonia und Andreas, enteignet wurde. Eine im Ort ansässige Familie erwarb das Anwesen zu einem Spottpreis. Meine Großeltern und die zwölf Kinder erhielten nichts, und im August 1938 wurde ihnen von der Gemeinde Mörbisch gegen Pacht eine Lehm-Schilfrohrhütte zur Verfügung gestellt.

Zur selben Zeit war in Rechnitz ein gewisser Dr. Portschy [3], seines Zeichens Architekt, bereits Beauftragter und Leiter des Deportations- und Vernichtungsplans der Roma und Sinti im Burgenland, wo die meisten ansässig waren, ihre Berufe ausübten bzw. bei den Bauern als Taglöhner arbeiteten. Dr. Portschy war es auch, der 1938 per Verordnung den Kindern der Roma und Sinti als auch jenen der Juden den Schulbesuch verbot. Diese Verordnung wurde im Herbst 1938 im Landesamtsblatt veröffentlicht, wobei einige Schulbehörden Folge leisteten, andere wiederum Anfragen an das Ministerium in Wien richteten. Nachdem das Wiener Ministerium seitens des Berliner Reichsministeriums bis Juni 1939 ohne Bescheid blieb, wurden die einzelnen Landesschulräte angewiesen, über Siedlungsform sowie die Anzahl der schulpflichtigen Kinder der genannten Gruppen zu berichten, um die Frage des Schulbesuchs von jüdischen sowie Roma- und Sinti-Kindern einer einheitlichen Lösung zuzuführen. Jedoch erübrigte sich die Frage, da ein halbes Jahr später das Lager Lackenbach, als dessen Architekt Dr. Portschy zeichnete, fertiggestellt wurde und die Roma und Sinti dorthin deportiert wurden. Aufgrund der Aussage meiner Eltern sowie von Verwandten wurden sie von ihren Häusern und Wohnwagen aus dorthin in ein menschenunwürdiges Elendsdasein verschleppt.

Ich kann mich weder an meine Krankheiten noch Sonstiges im KZ-Lager Lackenbach erinnern, weiß jedoch von meinen Eltern und Geschwistern, dass ich sehr krank war, dass ich Typhus und zweimal die Ruhr hatte. Ebenso erzählten mir meine noch lebenden Geschwister, dass ich vor Hunger das, was hinten ausgeschieden wurde, vorne wieder hinein aß. Ich habe aus dieser in meiner frühesten Kindheit im Lager zugebrachten Zeit ein chronisches Muskel- und Gelenksrheuma als auch ein chronisches Bronchialasthma mitgebracht.

Das Kriegsende und danach

In der Karwoche 1945 wurde das Lager Lackenbach angezündet, um jegliche Spuren eines KZ-Zwangsarbeiterlagers zu verwischen. Auch wurden, so weit es die Zeit noch erlaubte, interne Daten über die Häftlinge vernichtet oder verbrannt. Am Tag vor unserer "Abreise" hatte Herr Brandtner [4], der Lagerleiter, meiner Mutter im Verstohlenen gesagt, sie solle alle noch dortigen Häftlinge informieren, ihre Habseligkeiten zu packen und bei beginnender Finsternis so schnell wie möglich das Lager zu verlassen, da es angezündet und gesprengt würde. Am Nachmittag, das habe ich noch etwas im Bewusstsein, und ich glaube, es war mein erstes Wahrnehmen als Kleinkind mit fast zweieinhalb Jahren, mussten alle Appell stehen. Ich erinnere mich gut daran, da es ein wunderschöner warmer Tag war, und die Musiker, die noch nicht deportiert waren, vor der gesamten Lagerleitung und auch den angetretenen Häftlingen musizieren mussten. Auch war im Lager schon einige Tage bekannt, dass die Alliierten im Anmarsch waren, in diesem Gebiet waren es die Sowjets. So machten sich bei Anbruch der Dunkelheit alle restlichen Roma und Sinti, meist Familien, auf den Weg in Richtung ihres jeweiligen Heimatortes, so auch meine Familie. Sie gingen über Schattendorf, teilweise durch ungarisches Waldgebiet, Weppersdorf, etc. und gelangten vom Mittelburgenland ins Nordburgenland, nach Mörbisch.

Da meine Großeltern als auch meine Eltern in Mörbisch sehr beliebt gewesen waren und von einer katholischen Familie besonders gemocht wurden, vor allem unsere Großmutter Antonia, die sehr gläubig war, wurden wir von dieser Familie sehr herzlich und mit Tränen aufgenommen. Sie hatten in dieser Zeit, wo wir im KZ waren, all unsere Felder bearbeitet und mitbetreut. Diese Familie war es auch, die in den damals noch schwierigen Zeiten nach Kriegsende unsere Familie mit acht Kindern aufnahm, sie an ihrem Tisch nährte und auch in oft ernsten Situationen zu uns stand. Sie selbst verlor zwei Söhne im Krieg. Wir schliefen teilweise in den Scheunen auf Heu und arbeiteten - die Eltern und Geschwister, die damals schon zum Großteil erwachsen waren - in der Landwirtschaft dieser Familie als auch in der unsrigen.

Später bekamen wir dann am See in der Seestraße schilfgedeckte Hütten von der Gemeinde Mörbisch gebaut, wobei wir selbst die Ziegel vom ehemaligen Flakplatz ausgraben mussten und für den Rohbau herantransportieren, und zwar in Scheibtruhen. Innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre konnte sich meine Familie doch einen beachtlichen sozialen Wohlstand erarbeiten, so dass wir Jüngeren die Schule besuchen konnten, und ich sogar auf das Gymnasium-Priesterseminar Katzelsdorf/Leitha gehen konnte.

Da ich als Kleinstkind den Holocaust erlebte, ja mitten hineingeboren wurde und noch heute als Erwachsener an den mir damals zugezogenen Leiden sowohl seelisch als auch körperlich laboriere, so ersuche ich sie, über diese Zeilen über das Leid, das Menschen während des Holocaust zugefügt wurde, egal welcher Nation oder Gruppe zugehörig, nicht einfach hinwegzublättern, sondern nachzudenken und persönlich, soweit wie möglich, mitzuhelfen, derartiges Leid zu verhindern.

Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte in: Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialimus (Hg.): In die Tiefe geblickt. Lebensgeschichten. Edition INW Wien 2000, Seite 53-56.

[1] Von insgesamt mindestens 11.000 österreichischen Roma und Sinti wurden ca. 9.500 während der NS-Herrschaft ermordet.
[2] Im "Zigeunerlager" Lackenbach, Ende 1940 gegründet, befanden sich Ende 1941 über 2.300 Häftlinge. Bis Kriegsende sollten mindestens 250 Insassinnen und Insassen im Lager selbst sterben, 2.000 wurden deportiert und großteils im Vernichtungslager Chelmno ermordet. Die Befreiung im April 1945 erlebten nur 300 bis 400 Menschen.
[3] Dr. Tobias Portschy, ab März 1938 zunächst Gauleiter des Burgenlandes, ab Oktober 1938 stellvertretender Gauleiter der Steiermark. Verfasste 1939 die Hetzschrift "Die Zigeunerfrage", die bereits die Vernichtung der Roma und Sinti vorwegnahm. Wurde 1949 zu 15 Jahren schweren Kerkers verurteilt, jedoch bereits 1951 begnadigt.
[4] Der letzte Lagerleiter in Lackenbach hieß Julius Brunner.