Maria Springer

Wir lebten unter großem Druck

Maria Springer wurde am 27. Juni 1923 in Innsbruck geboren. Ihre Mutter Katharina Entacher und ihre Schwester Hilde wurden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas von den Nationalsozialisten verfolgt und mehrmals inhaftiert. Maria Springer musste daher bereits als 17-Jährige ihren Vater und ihren kleinen Neffen versorgen. Sie fühlte sich überdies dazu verpflichtet, auch den Lebensgefährten ihrer Schwester Hilde, Alois Lanthaler, einen der führenden Zeugen Jehovas, der immer wieder bei Familie Entacher Unterschlupf fand, zu verstecken und mitzuversorgen. Aus diesem Grunde musste Maria Springer ihren Beruf aufgeben und stand unter großem Druck. Ihrem Mut ist es auch zu verdanken, dass sie das im Gefängnis geborene Baby ihrer Schwester nach Hause in ihre Obhut bringen konnte.

Schwarz-weiß-Foto: Soldaten auf Motorrädern fahren durch die Stadt.
Durchfahrt der Deutschen Wehrmacht durch Innsbruck Richtung Brenner am 12. März 1938. (c) ÖNB/Lothar Rübelt

Als meine Mutter Katharina Entacher und meine Schwester Hilde 1940 wegen ihres Glaubens als Zeugen Jehovas ins Gefängnis kamen, taten meine Schwester Elsa und ich unser Möglichstes, um unseren Vater Georg und unseren Neffen Walther zu betreuen. Im Frühjahr 1944 wurde es aufgrund der erneuten Inhaftierung meiner Mutter und Schwester für mich dringendst erforderlich, meine berufliche Laufbahn als Kindergartenpraktikantin aufzugeben, um die Pflege und Versorgung meines Vaters und meines 9-jährigen Neffen zu übernehmen. Zu all dem kam die moralische Verpflichtung hinzu, bereit zu sein für Herrn Alois Lanthaler, einen wegen seines Glaubens Verfolgten und Gejagten, im Untergrund Lebenden, zu sorgen. Das wurde zu einer sehr großen Belastung und Herausforderung für mich und meinen Neffen. Denn weder mein Vater [dieser war kein Zeuge Jehovas] noch Verwandte, Freunde und Nachbarn durften das Geringste wahrnehmen. Wir lebten unter großem Druck und großer Anspannung. Nie waren wir sicher vor polizeilichen Kontrollen oder Hausdurchsuchungen. Ein weiteres Erschwernis und eine Härte ergaben sich, da wir mit nur zwei Lebensmittelkarten noch eine dritte erwachsene Person verpflegen mussten. Das verlangte von uns viele zusätzliche Opfer, ganz zu schweigen von meinen finanziellen. Alle meine Ersparnisse wurden aufgezehrt.

Etwa im Mai 1944 getraute ich mich, einen Vorstoß zu unternehmen, um für meine Mutter und Schwester eine Erleichterung zu erbitten. So fuhr ich nach München, suchte im Präsidium die Abteilung der Geheimen Staatspolizei und kam so zu dem zuständigen Kommissar Grimm. Das Gespräch verlief irgendwie positiv. Herr Grimm machte mir Hoffnung, das Baby meiner Schwester Hilde nach dessen Geburt übernehmen zu können, und versprach mir auch Schreiberlaubnisse und sogar Besuche bei meiner Mutter im Lager Pfettrach [heute Ortsteil von Altdorf in Niederbayern] bei Landshut. So kam es, dass ich dann im Juni 1944 die kleine Luise unter schwierigen Umständen aus dem Zuchthaus Aichach [Bayern] abholen konnte. Von da ab waren dann beide Kinder von Hilde in meiner Obhut.

Frau Springer setzte sich auch unermüdlich für die Freilassung ihrer Schwester ein, wie folgender Brief von ihr an Kommissar Grimm bezeugt:

Werter Herr Kom. Grimm!

Bezug nehmend auf ein Schreiben v. meiner Schwester Hilde, wende ich mich heute mit einem besonderen Anliegen an Sie. Bei meinem Besuch in Aichach, betreffs Abholung des Kindes von Hilde, musste ich sehen, wie zermartert u. krank meine Schwester darniederlag (durch 2 Brustoperationen). Mir ging es nicht in den Sinn, dass man ein armes  Menschengeschöpf, das seelisch u. körperlich so geschwächt ist, schuldlos, denn ich zweifle keinen Augenblick daran, dass Hilde ohne Schuld im Gefängnis sitzt, so der Freiheit beraubt.

Unwillkürlich muss man sich fragen, wer hat da einen Nutzen, wenn Hilde krank darniederliegt u. somit vernehmungsunfähig ist, ja nur eine große Last für alle umgebenden Menschen ist. Ich bitte Sie herzlich, meine Worte richtig zu verstehen.

Berücksichtigen Sie bitte diese Zeilen, durch die ich mich Sie sehr sehr zu bitten getraue, doch Mitleid walten zu lassen.

Wäre es denn nicht möglich, dass Hilde bis zu ihrer Genesung nach Hause könnte? Jederzeit könnten Sie sie nachher wieder zu sich berufen. Hilde steht jetzt vor der 3. Operation, ich glaube kaum, dass sie diese noch durchhalten kann.

Ich habe ihren Sohn hier, ihr kleines Mädchen, ich kann es nicht sehen, dass diesen so glattweg die Mutter genommen wird.

In Ihrer Praxis wird Ihnen ja schon sehr sehr viel untergekommen sein, und ich kann begreifen, dass Sie nur kühlen Kopf bewahren. Doch bitte betrachten Sie doch diesmal die Angelegenheit von einer anderen Seite; ich glaube kaum, dass Sie dann meine Handlung für absurd halten.

Seinerzeit gaben Sie mir die Bewilligung, meiner Schwester so oft schreiben u. schicken zu können, wie uns u. auch Hilde beliebt. Es hat sich leider herausgestellt, dass es nicht so sein kann. Hilde bekam z. Bsp. keines unserer Pakete, so auch einige Briefe nicht. Von ihr erhalten wir nur 2[-mal] monatlich Post. Darüber fehlt mir eine Erklärung.

Gleichzeitig möchte ich noch eine Bitte aussprechen. Die Kleiderkarte von meinem Vater befindet sich unter den Habseligkeiten von Hilde. Von Vater höre ich darüber täglich Vorwürfe u. böse Reden; er benötigt sie dringend. Wenn diese unter Ihrer Verwaltung ist, bitte sind Sie doch so freundlich und lassen mir diese zugehen. Andernfalls, könnten Sie bitte veranlassen, die Karte in den Besitz meines Vaters zu bringen?

Trotz ihrer Fürbitte gelang es Frau Springer nicht, ihrer Schwester zu helfen. Hilde Entacher wurde wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt und sollte nach Berlin gebracht und enthauptet werden. Aufgrund des Kriegsendes kam es nicht mehr dazu, und sie wurde freigelassen. Maria Springers Mutter Katharina und Alois Lanthaler überlebten ebenfalls. Kurz nach Hildes Entlassung starb ihr Baby ganz plötzlich im Alter von fast zwei Jahren.

Maria Springer selbst wurde aufgrund ihres mutigen Handelns vom Nationalfonds als "Gerechte" anerkannt.