Hermine Liska

Das Wegbringen war furchtbar

Hermine Liska wurde am 12. April 1930 in Kärnten als jüngstes von fünf Kindern geboren. Bis zum Jahr 1938 wuchs sie mit ihren vier Brüdern unbeschwert auf dem Bauernhof ihrer Eltern auf. Die Familie bekannte sich zu den Zeugen Jehovas und kam bald nach dem "Anschluss" Österreichs aufgrund ihrer religiösen Überzeugung immer stärker in Bedrängnis. Hermine Liska wurde ihren Eltern weggenommen und sollte "umerzogen" werden, blieb jedoch trotz der Trennung von ihrer Familie und der vielen Schikanen, denen sie ausgesetzt war, ihrem Glauben treu. Die Lebensgeschichte von Frau Liska wurde bereits auf der Website www.standhaft.at veröffentlicht.

Als Adolf Hitler in Österreich einmarschierte, war ich noch nicht einmal acht Jahre alt. Ich erinnere mich noch genau an den Einmarsch im März 1938. Ein Nachbar kam gleich in der Früh und sagte: "Der Führer ist einmarschiert!" Meine Mutter sagte: "Das ist kein Grund zum Jubeln. Hitler ist nicht unser Führer – Christus ist unser Führer."

Meine Eltern betätigten sich schon seit den 1920er-Jahren als Bibelforscher (Jehovas Zeugen). Sie lehnten aus religiösen Gründen jegliche Unterstützung des nationalsozialistischen Systems ab; deshalb wurde unsere Familie verfolgt.

 

Zuerst mein ältester Bruder Hans. Er wurde von März 1941 bis Dezember 1944 zur Zwangsarbeit verurteilt. Anschließend kam er von Jänner 1945 bis Kriegsende in das KZ Dachau. In einem Außenlager musste er in einem Steinbruch arbeiten, wo er auf 45 kg abmagerte und von schwerem Flecktyphus befallen wurde. Mein Bruder Franz wurde im Alter von 17 Jahren wegen Verweigerung des Arbeitsdienstes nach dreimonatiger Haft im Gefängnis Klagenfurt zu einem Jahr Jugendgefängnis verurteilt und in die Strafanstalt Kaiser-Ebersdorf bei Wien gebracht. Mein Vater war im Jänner 1945 drei Wochen in Klagenfurt inhaftiert, wurde jedoch wegen Haftuntauglichkeit wieder entlassen.

Gemäß meiner biblischen Erziehung verweigerte ich als Schülerin den Hitlergruß und jede Beteiligung an nationalsozialistischen Aktivitäten wie etwa das Singen nationaler Lieder und auch den Fahnengruß, der bei dem täglichen Singen üblich war. Durch psychischen Druck wie Strafaufgaben, Spott der Mitschüler, eine Fünf in Betragen und das Versetzen von der fünften in die erste Klasse durch den Schuldirektor Herrn G. versuchte man mich umzustimmen.

Schließlich wurde den Eltern das Erziehungsrecht entzogen, da sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten, und man brachte mich im Februar 1941 in das nationalsozialistische Erziehungsheim Waiern bei Feldkirchen in Kärnten, 50 km von meinem Heimatort entfernt. Und das war das Schlimmste von allem. Das Wegbringen war furchtbar. Ich war zuvor noch keinen Tag irgendwo alleine gewesen. Meine Eltern hatten Besuchsverbot. Aber sie gingen das Risiko ein und trafen mich heimlich auf dem Schulweg. Am liebsten wäre ich jedes Mal mit ihnen heimgegangen. Ich konnte die Nächte kaum zählen, in denen ich mit meinen Tränen den Polster durchnässte. Einerseits hatte ich Heimweh, andererseits Sorge um meine Eltern und Geschwister.

In Waiern konnte ich wieder die fünfte Klasse der Volksschule besuchen. Durch meine Weigerung, den Hitlergruß abzugeben, wurde mir jedoch das Recht auf den Besuch der Hauptschule entzogen. Eines Tages wollte man mich zwingen, die Uniformweste der NS-Jungmädchenbewegung anzuziehen, doch so sehr sich die Heimleiterin auch bemühte, weiter als bis zu den Ellbogen kam sie mit der Weste nicht.

Als man nach einiger Zeit erkannte, dass die Umerziehung keine Früchte trug, wurde ich dann im September 1941 nach München in die Adelgundenanstalt, ein von katholischen Nonnen geführtes Heim, gebracht. Meine Eltern hatten in der Zeit von Februar 1941 bis 1945 kein Besuchsrecht, und ich durfte in München zweimal im Monat einen Brief bzw. ein Paket meiner Eltern erhalten. Der Direktor drohte, dass, wenn etwas über meinen Glauben drinnen steht, ich keinen Brief mehr bekommen würde. Er drohte mir außerdem mit der Einweisung in eine geschlossene Anstalt, wenn ich meine Haltung nicht aufgeben sollte. Damit ich weiß, wie es dort aussieht, schickte er mich mit einer Nonne hin. Es war wirklich furchterregend, ein richtiges Gefängnis. Der Direktor versuchte, mich immer wieder unter seelischen Druck zu setzen. Einmal sagte er: "Ein Bruder von dir ist ja auch eingerückt. Nimm ihn als Beispiel."[1] Darauf sagte ich: "Ich bin nicht der Nachfolger meines Bruders, sondern ein Nachfolger Christi."

Wegen der zunehmenden Bombardierung Münchens wurden alle Schulkinder im Sommer 1943 aufs Land in die Nähe von Ingolstadt evakuiert. Wir wurden bei Bauern untergebracht. Ich war 13 Jahre alt, und hier begann nun meine Zwangsarbeit, denn ich musste von da an Haus-, Feld- und Stallarbeiten verrichten. Die schulische Ausbildung wurde stark vernachlässigt. Im März 1944, gegen Ende meiner Schulzeit, kam ich wieder nach München ins Adelgundenheim, wo jedoch täglich Bombenalarm war und wir jede Nacht im Luftschutzkeller verbrachten.

Den ständigen Gesuchen meiner Eltern um Rückkehr nach Kärnten wurde schließlich doch stattgegeben. Im April 1944, ich war 14 Jahre, durfte ich endlich wieder nach Hause. Aber schon nach ein paar Tagen wurde ich wieder abgeholt und zur Familie L. (Gasthaus Neuwirth) nach Köttmannsdorf bei Klagenfurt gebracht. Dort arbeitete ich bis Kriegsende. Natürlich ohne Entlohnung. Unter normalen Umständen konnten die Bauerstöchter ihr Pflichtjahr zuhause absolvieren, was mir jedoch verweigert wurde.

Nach dem Krieg ermöglichten mir meine Eltern den zweijährigen Besuch der Frauenberufsschule in Klagenfurt. Leider konnte ich anschließend keine Berufslaufbahn einschlagen. Weil meine Mutter schwer erkrankt war, habe ich, bis mein Bruder heiratete und den Hof übernahm, am Hof gearbeitet. Seit 1952 bin ich verheiratet und habe drei Kinder großgezogen, so hatte ich nie die Möglichkeit, berufstätig zu sein. Wenn ich über meine Kindheit nachdenke, erfüllt es mich trotz aller Härten und Entbehrungen mit Befriedigung, meinem Gott und meinen Prinzipien treu geblieben zu sein.

[1] Ein Bruder von Hermine Liska war kein Zeuge Jehovas und leistete Militärdienst.