Norbert Lopper
Ich habe ein paar Mal den Tod vor den Augen gehabt.
Norbert Lopper wurde 1919 in Wien, Brigittenau geboren. Er stammte aus einem jüdischen Elternhaus und hatte zwei Schwestern und zwei Brüder. Der fußballbegeisterte Bub trat zunächst dem Fußballverein Sparta Wien in der Rauscherstraße im 20. Bezirk bei, ab etwa 1935 spielte er als Nachwuchsspieler bei Hakoah Wien. 1938 flüchtete Norbert Lopper vor den Nationalsozialisten nach Brüssel, wo bereits Verwandte lebten. Seine Familie konnte nachkommen. In Brüssel trat Norbert Lopper dem jüdischen Fußballverein Étoile bei, später spielte er zusätzlich bei Maccabi Bruxelles und trug so zum finanziellen Auslangen der Familie bei.
Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Belgien im Mai 1940 folgte die Flucht ins unbesetzte Südfrankreich, wo Norbert Lopper in Saint-Cyprien interniert wurde. Aufgrund der katastrophalen hygienischen Bedingungen flüchtete er von dort und kehrte ins besetzte Brüssel zurück. Im Oktober 1940 heiratete er dort seine aus Berlin stammende Freundin Rebecca. Im August 1942 mussten sich Rebecca und Norbert Lopper „zum Arbeitseinsatz“, das hieß zur Deportation, im Brüsseler Gare du Nord einfinden und wurden zunächst in das Sammellager in Malines transportiert. Auch seine 16-jährige Schwägerin Sonja, die Schwester seiner Frau, kam auf diesen Transport.
Am 27. August 1942 kam Norbert Lopper in Auschwitz an. Nach der Trennung an der Rampe sah er seine Frau und seine Schwägerin nie wieder. Norbert Lopper wurde zunächst ins Stammlager eingewiesen, wo er in Block 17 untergebracht war und bis Mitte November 1942 blieb. Anschließend kam er nach Birkenau. Dort entdeckte er zufällig auf einem ankommenden Transport seine Mutter und seinen jüngeren Bruder Herbert. Dieser wurde als 17-Jähriger zum Arbeiten ins Lager geschickt und 1945 in Auschwitz von den Russen befreit, seine Mutter konnte Norbert Lopper vor der sofortigen Ermordung retten.
Norbert Loppers jüngere Schwester Klara, sein Vater, Leo Lopper, seine Frau, seine Schwägerin und seine Schwiegereltern wurden in Auschwitz ermordet. Seine ältere Schwester Rosa überstand den Krieg schwer krank in Brüssel, sein Bruder David überlebte in anderen Lagern. Nach der Befreiung, die Norbert Lopper im Mai 1945 in Mauthausen erlebte, ging er wieder nach Brüssel zu seiner Familie. Aufgrund der Misshandlungen im KZ konnte er seine aktive Fußballerkarriere nicht fortsetzen. Erst 1953 kehrte er nach Wien zurück, wo er 1954 den Austria-Wien-Anhängerklub gründete. Von 1956 bis 1983 war er Sekretär der Wiener Austria. 1970 besuchte er mit seiner Austria-Mannschaft Yad Vashem. Nach seiner Pensionierung hatte Norbert Lopper verstärkt Kontakt zur Lagergemeinschaft Auschwitz und nahm an deren Veranstaltungen teil. Im Jahr 2010 wurde er schließlich Ehrenvorsitzender des Gesellschaftlichen Beirats für die Neugestaltung der österreichischen Ausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau.[1]
Am 18. April 2015 ist Norbert Lopper in Wien verstorben.
Der folgende Text ist die redigierte und gekürzte Fassung eines Gesprächs von Michaela Niklas und Michael Doujak mit Norbert Lopper am 26. Februar 2013. [2]
Waren Sie im Block 17 untergebracht, in dem sich heute die österreichische Ausstellung befindet?
Ja, von Anfang, bis ich übersiedelt bin rüber nach Birkenau, also Ende August 1942 bis November 1942.
Waren da mehrere Österreicher untergebracht?
Ja, ja, aber die waren ja zerstreut, die Österreicher, zumindest mein Transport.
Wie ist es Ihnen im Block 17 ergangen und wie kamen Sie dann nach Birkenau?
Das ist eine lange Geschichte mit Birkenau. [...] Der Blockälteste von Block 17 hatte den berüchtigten Namen der „Eiserne Gustav“. Er war nur auf Reinlichkeit bedacht und sehr penibel. Und der Blockälteste war berüchtigt im Lager, dass er nur auf Reinlichkeit geschaut hat, sehr genau war er und aufgepasst hat er. Einmal in der Früh, in dem Augenblick, als die Sirene losgegangen ist, also zum Aufstehen, ist er mit einem runden Stock durch die Bettenreihen gelaufen – wehe, einer ist noch am Bett gesessen. Das war das Erste. Ich muss Ihnen noch eines sagen – was die Hygiene betrifft, war Auschwitz gegenüber Birkenau ein Sanatorium. Wieso ich nach Birkenau gekommen bin, kann ich Ihnen jetzt sagen. [...]
Nein, ich will einmal mehr über den Block erzählen. Und dann über das andere. Und zwar: Dieser Blockälteste hat zum Beispiel, während wir bei der Arbeit waren, jedes einzelne Bett kontrolliert. Das Bett musste so gemacht werden wie beim Militär, keine Falte, gar nichts. Wehe, ein Bett war schlecht, den hat er sich dann am Abend geholt. Dann zum Beispiel noch etwas: Am Abend, als wir die Suppe bekommen haben, haben wir uns angestellt mit der Schüssel, und die Suppenausgabe hat der Kapo vorgenommen. Wir sind in der Reihe gestanden, und jeder ist hingegangen. Plötzlich sehe ich, wie der vor mir vorbeirennt, der Blockälteste, hin zum Kapo, haut ihm eine runter und nimmt ihm die Kelle aus der Hand, den Schöpflöffel. Warum, das werde ich Ihnen sagen: Das Fass, wo die Suppe drin ist, hat er von oben herausgeschöpft und nicht hinunter und die Einlage mitgenommen. Und das hat er von Weitem beobachtet, ist hin, hat ihm eine runtergehaut, den Löffel weggenommen und hat selber ausgeteilt. [Also hat er auf die Häftlinge geschaut?] Oh, da werde ich Ihnen noch etwas sagen, auf was er geschaut hat. Dann, es war ungefähr im Oktober, sind wir von der Arbeit gekommen, mussten uns nackt ausziehen, das Gewand in einen Korb werfen, und das ist zur Entlausung gekommen. Wir mussten die ganze Nacht nackt stehen – nackt stehen –, bis in der Früh, bis wir das Gewand bekommen haben. Der ganze Block. Natürlich, als wir das Gewand bekommen haben, war das eine Wohltat, weil es noch warm war von der Entlausung. Und wir haben ja gefroren, wir sind ja Rücken an Rücken – gegenseitig haben wir uns gewärmt. Das ist einmal das eine. Ja, das Gewand, und dann haben wir ungefähr 100 Meter weiter in die Duschbaracke laufen und duschen müssen. Alle. Dann sind wir gestanden und haben gewartet. [...] Aber eines muss man sagen, der hat genau gewusst, wer sich waschen geht und wer nicht. Der Blockälteste war so bedacht auf Reinlichkeit, und wenn da einer nicht im Waschraum war, den hat er sich geholt. Und wie der das sieht? Wir waren vielleicht 100 oder 120 am Block. Dass der sich gemerkt hat, wer sich waschen geht und wer nicht. Er hat ja immer gesagt, das [die strenge Hygiene] ist [wichtig für] dein Leben. [...]
So. Jetzt werde ich Ihnen sagen, warum – wie ich nach Birkenau gekommen bin. Es war Mitte November, und ich habe gespürt, ich kann nicht mehr. Ich habe das schon vorher gespürt, dass ich schon schwächer werde – mit der Verpflegung, die wir bekommen haben, da ist das ja normal. Ich habe Leute gesehen, die mit mir gekommen sind, Burschen, die sind schon nach fünf Wochen gelegen und haben nicht mehr aufstehen können, die sind alle weg. Ich war im Tiefbaukommando, Rohre verlegen. Ja, und mit dieser Verpflegung haben Sie ja keine Chance – sechs Wochen, maximal acht Wochen können Sie überleben. Am Abend haben wir ein Stück Brot bekommen mit einer Margarine und eine Suppe. In der Früh nur Kaffee, man weiß nicht, war es Kaffee oder Tee – man hat es nicht auseinanderhalten können. Nur den Kaffee, Tee, nicht mehr, und mittags die Suppe. Das war alles. Unmöglich. Wie ich das dort überlebt habe so lange, weiß ich selber nicht. [...] Der Block ist ja vis-à-vis von der Küche gewesen. Und mittags wurde die Suppe an den Arbeitsplatz geliefert. Und die Häftlinge mussten ja die leeren Kanister immer am Abend mitbringen und bei der Küche abstellen. Die mussten noch gereinigt werden. Und dort sind schon andere gestanden, haben gewartet, wann die kommen, dass sie noch was drin finden und auslöffeln können. Das habe ich alles bemerkt, aber hie und da, wenn dann die Rübentransporter gekommen sind, hat man von dem, was da runtergefallen ist, schnell was aufgehoben und die rohe Rübe gegessen, so etwas zum Beispiel.
Und ich war im November, ja, Mitte November war ich so weit, und ich habe gewusst, es hat keinen Sinn mehr, wenn ich zur Arbeit gehe, ich komme nicht mehr zurück. Ich habe kaum noch auf den Füßen stehen können. Wenn mir einer angekommen wäre, ich wäre umgefallen, ich hätte nicht mehr aufstehen können. So schwach war ich. Und ich habe mich entschlossen, in der Früh, nach dem Appell, zum elektrischen Draht zu gehen. Und am Weg, wie ich so langsam gegangen bin, am Weg musste ich an einem Arbeitskommando vorbeigehen, das sich dort formiert hat – das „Kanada-Kommando“. Ich weiß nicht, ob Ihnen das etwas sagt – das ist Effektenlagerarbeit –, die, die auf der Rampe arbeiten und im Effektenlager das Gepäck ausweiden. Und die sind zum Abmarsch gestanden, und da hat es geheißen, dass dieses Kommando mit 25 Mann erhöht wird. Und wie ich so zum elektrischen Draht gehe, laufen vor mir zwei Kapos mit Prügeln in der Hand vorbei. Ich denk mir, was ist passiert? Schau ich, gehe ich dort vorbei, sind dort 300 statt 25 und wollten mitgehen. Und ich hätte jetzt vorbeigehen müssen, bin aber nicht vorbeigegangen und bin dort, wo die gestanden sind, stehen geblieben. Ich habe gehört, wie gerade der Kapo reklamiert hat, sind die 25 schon fertig, so dass sie abmarschieren können. Und ich höre, dass er Wienerisch redet. Das war ein Wiener „Zigeuner“ bei dem Kommando, und ich stehe so hinter ihm und sag noch zu ihm – der ist verkehrt gestanden –, sag ich: „Können Sie etwas für mich tun?“ Dreht er sich um und sagt: „Von wo bist du?“ Sag ich: „Ich bin von Wien.“ „Komm, stell dich da an!“ Und dieses Kommando ist nie, selten am Abend zum Appell gekommen. Selten. Die haben immer gearbeitet bis sieben, acht Uhr und sind erst später ins Lager gekommen.
Und mit dem bin ich ausgerückt und habe das erste Mal dort ein bisschen etwas zum Essen gefunden. Also, das war nicht offiziell, aber man hat versteckt was finden und essen können. Und wie wir dann am Abend hereingekommen sind, war der Appell am Nachmittag [schon vorbei]. Um fünf Uhr ist ja Appell, und bei unserem Block fehlte ein Mann. Und der [Blockälteste] hat gewusst, wenn es nicht stimmt, dann kann ich nur dort, mit dem Kommando draußen sein. Der Blockälteste hat gewusst, wenn jetzt noch einer fehlt, geflüchtet ist er nicht, [...] weil wenn einer fehlt, geht die Sirene. Also, der Appell hat gestimmt. Also, ich komme um acht Uhr ungefähr zurück, und wie ich heimgekommen bin, gehe ich zum Block, steht er draußen, der Blockälteste, und wartet auf mich. Sofort ausziehen, duschen gehen und das Gewand zur Entlausung geben. Also bin ich wieder gestanden, die ganze Nacht nackt, und habe auf mein Gewand gewartet. Das war der Blockälteste, aber wissen Sie, was er gemacht hat? Die Suppe, die ich gekriegt hätte, die hat der [für mich] weggestellt. Aufgehoben und hat sie weggestellt, aber die war schon kalt. Die Suppe, die war ja keine Suppe – aber wenn man einen Hunger hatte, hat man das trotzdem gegessen.
So bin ich in das [Kanada-]Kommando gekommen und habe ich mir noch gedacht: Oje, wenn ich jetzt wieder mit denen zum Arbeiten ausrücke am nächsten Tag, wird er [der Kapo] mich wieder stehen lassen, habe ich wieder dasselbe. Da habe ich gleich gebeten, ob sie mich in den Block versetzen können, wo die sind. [...] Was war aber am nächsten Tag? Da hat es geheißen, das ganze Kommando übersiedelt nach Birkenau. Und eines muss ich Ihnen sagen, für Auschwitzer war Birkenau ein rotes Tuch. Das hat für sie geheißen: sterben. Und das halbe Kommando war weg und hat sich ein anderes Arbeitskommando gesucht. Die wollten nicht nach Birkenau, und auch, leider, der Kapo, der mich reingenommen hatte, der ist auch nicht rübergegangen, der ist auch geblieben. Wir mussten uns also zum Abmarsch aufstellen und sind ergänzt worden, und es sind gleich noch welche dazugekommen, viele haben sich gesträubt: „Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht.“ Ich habe ja gesehen, was los ist, da habe ich gesagt: „Ich habe jetzt so ein Glück gehabt, dass ich da hineingekommen bin, ich gehe nach Birkenau, egal, was ist.“ Ich war eh schon tot. [Sie hatten schon die Hoffnung verloren gehabt?] Ja, ja, gefunden, ein gefundenes Leben sozusagen.
Und wie wir alle komplett waren, sind wir dann abmarschiert und sind in Birkenau zuerst einmal ins Frauenlager. Dort hat man uns untergebracht. Weil drüben war vielleicht kein Platz mehr oder was, und wir waren im Frauenlager. Birkenau war das Hauptlager und nebenan war das Frauenlager. Wir sind ins Frauenlager gekommen. Und dort haben wir leider einen Blockältesten gehabt, der war ein Lustmörder, der hat hie und da einen umgebracht, wenn einer zurückgeblieben ist. [...] Wir waren 100 Leute in dem Kommando, und die wollten immer, dass einer als Reserve im Block bleibt. Und der hat immer einen umgebracht. Bis man ihn in die Kiesgrube zum Arbeiten abgeholt hat. Wir haben dann einen bekommen, einen Polen, der hat besser jiddisch gesprochen als die frommsten Juden. Der muss dort irgendwo mit denen gelebt haben, weil der hat besser geredet, und der war sehr gut, und mit dem haben wir eine Freude gehabt. Aber leider, wir waren ja nicht lange dort, im Frauenlager. Ich weiß nicht, wie lange wir dort waren. Wir sind dann rüber ins Quarantänelager gekommen und dann ins B-Lager herüber. Also, so bin ich nach Birkenau gekommen. Und dann bin ich bei dem Kommando geblieben.
Das Effektenlager [Kanada I] war ungefähr einen Kilometer oder eineinhalb Kilometer vom Hauptlager weg. Und dorthin wurde das Gepäck von den Menschen transportiert. Wir mussten es sortieren und gleichzeitig auch ein Teil [von uns] auf der Rampe Dienst machen. Das war unsere Aufgabe und, ja – ich habe das Glück gehabt, also wirklich, dass ich dazu gekommen bin, weil sonst hätte ich das nicht überlebt. [...] Man hat auch essen können. Und die haben ja unsere Kräfte gebraucht – das war ja auch keine leichte Arbeit. Und da haben sie immer gestattet, dass man [isst], aber nur keine Konserven, das war strikt verboten. Aber sonst hat man essen können. Aber nur bei der Arbeit nicht – es war immer eine halbe Stunde Mittagspause, da war frei [...] – aber da hat man trotzdem zwischendurch [was gegessen]. Jeden Abend, bevor wir ins Lager gegangen sind, sind wir gefilzt worden, die SS hat uns gefilzt. [...] Aber mit der Zeit ist man dann draufgekommen, wo man schauen soll, um was mitzunehmen ins Lager, weil jeder hat Freunde oder Familie gehabt, und da hat man doch immer was für die mitnehmen wollen. Ja, so ist es. [...]
Aber leider dann, [...] wie die Ungarntransporte gekommen sind, das ist ja Tag und Nacht gegangen, waren wir überfordert. Jetzt hat man eine Nachtschicht eingerichtet. Der Kapo von der Nachtschicht, das war ein guter Freund, der auch von Brüssel gekommen ist, aber mit einem anderen Transport, nicht mit meinem. Und der hat das Kommando bekommen, die Nachtschicht. Jetzt muss ich Ihnen noch was sagen: Das Kommando bestand aus 100 Männern und 100 Frauen. [...]Und dann, das war im Juni – von April bis Juni sind 400.000 Juden aus Ungarn deportiert worden. Jetzt können Sie sich vorstellen, wie sich das dort abgespielt hat, das kann kaum, kann man gar nicht ..., was wir da mitgemacht haben.
Wussten die Menschen, was mit ihnen passiert?
Nein, nein, wussten sie nicht. Nur, wissen Sie, wer es gewusst hat? Die von Polen gekommen sind, die Transporte, die haben gewusst, dass sie sterben müssen. Und wie die letzten Transporte gekommen sind, hat es auf einmal geheißen, das Effektenlager übersiedelt nach Birkenau [Kanada II]. Und zwar gleich zum Krematorium IV.
Jetzt haben alle gesagt, oje – die Frauen, das Sonderkommando und wir in einem Lager. Jetzt haben wir alle geglaubt, die wollen uns dort gleich zusammen beim Krematorium haben. Sind viele wieder abgesprungen und haben sich ein anderes Kommando gesucht. Also, wir sind übersiedelt in das Effektenlager. Wie wir übersiedelt sind, haben wir dort doch viel mitbekommen, was sich dort abgespielt hat. Zum Beispiel in der Nacht, wenn Transporte gekommen sind. Wir haben auch rübergeschaut übers Gitter und haben im Lichterschein die Bewegungen gesehen. Und einmal ist sogar der Schornstein geplatzt. Man konnte die Vergasten nicht mehr verbrennen. Jetzt haben sie dort neben dem Krematorium eine Grube gegraben und haben die Vergasten in die Grube gebracht, und das meistens in der Nacht. Und wenn wir auf waren, haben wir rübergeschaut, haben über das Dachfenster in der
Baracke durch den Feuerschein die Bewegungen gesehen, wie sie mit den Rollwagerln die Toten aufgeladen haben und sie dorthin geführt haben, zur Grube. Das war schrecklich. Aber das, was ich Ihnen noch sage: Die Frauen waren ja isoliert in einer Baracke, und das Sonderkommando, die waren auch isoliert in der Baracke, mit uns. Wir waren vis-à-vis in der Baracke, wir haben ja kaum Kontakt mit denen gehabt. Außer bei der Arbeit mit den Frauen haben wir Zubringerdienste gehabt, also Kleider und Wäsche, was sie bekommen haben. Und dann ist doch der Aufstand gekommen, kurz danach, mit dem Sonderkommando, der Aufstand.
Haben Sie von den Vorbereitungen für den Aufstand des Sonderkommandos etwas mitbekommen?
Das hat niemand gewusst. Nein, nein. Nur die Frauen, die in der Waffenfabrik gearbeitet haben, die haben Bestandteile geschmuggelt und haben sie denen irgendwie [gebracht], aber die waren nicht bei uns, sondern im Frauenlager. Sie haben irgendeinen Weg zu ihnen gefunden. Maschinengewehre haben sie nur einige gehabt, aber leider weniger Munition. Und dann, wie das losgegangen ist – wir waren ja 50 Meter entfernt von dem ganzen Geschehen –, und wie das losgegangen ist, hat man ihnen gesagt, sie sollen sich ausziehen, sie werden untersucht, die Ärzte kommen, sie gehen auf Transport. Na, die haben ja schon gewusst, was los ist. Und dann haben die die ganze SS von Auschwitz abgezogen. In voller Kampfausrüstung sind die gekommen. Uns haben sie herausgeholt – nebenan war gleich die Sauna [die so genannte Desinfektionsanlage des Lagers], da mussten wir uns dort an die Wand stellen. Mein Freund, der Kapo von uns, das war der [Wiener] Hans Schor, das war ein Spanienkämpfer. Wir sind alle an der Wand gestanden, und die haben Aufstellung genommen, die SS, und haben uns bewacht. Wir haben ja nicht gewusst, wollen sie auch uns umbringen, oder … Wir wussten ja nicht [...]. Der hat uns auf jeden Fall gesagt, wenn sie anlegen, nicht stehen bleiben, entgegenlaufen. Ich kann mich heute noch erinnern, was er gesagt hat: „Nicht stehen bleiben, entgegenlaufen.“ Und Gott sei Dank, die wollten uns raushaben, weil sie wollten unser Lager durchsuchen, weil welche geflüchtet sind, als der Aufstand war. Dafür haben sie uns herausgeholt. Und dann, bis es vorbei war, natürlich, sind viele entkommen. Aber sie haben zwei rausgeholt von uns, vom Lager, die nicht weitergekommen sind, und die haben sie dann erschossen. Und so ist es langsam zu Ende gegangen.
Das habe ich vergessen, Ihnen zu sagen: Wie es geheißen hat, das Effektenlager übersiedelt zum Krematorium, habe ich zum Kapo gesagt: „Du, Hans, ich gehe nicht rüber. Ich suche mir eine Arbeit.“ Sagt er: „Ich will dir nichts sagen, wenn du glaubst, ich will dir nichts dreinreden, bitte.“ Und ich bin am nächsten Tag, statt rüber ins neue Effektenlager, im Lager geblieben und bin beim Tor gestanden, wie sie ausgerückt sind zur Arbeit. Ich habe ja nicht gewusst, wo ich arbeiten gehen kann, im Lager darf ich ja nicht bleiben. Und bin beim Tor gestanden und habe gewartet [...]. Auf einmal kommt der Kapo von der Nachtschicht mit einem kleinen Kommando, das bei uns die Nachtschicht gehabt hat, als die Ungarntransporte [gekommen sind], die waren ja nicht mehr. Da hat er ein kleines Kommando gehabt und rückt gerade mit dem Kommando aus und sieht mich stehen und sagt: „Hallo, na, was machst du da?“ „Ich suche mir Arbeit.“ Sagt er: „Komm mit mir!“ Ich habe nicht gewusst, was er macht.
Das war also ein kleines Kommando, schätze so 25 Leute, und wir marschieren, marschieren, marschieren außerhalb Richtung Auschwitz. Und mitten drin, auf einmal sagt er: „Stopp! Wir müssen da rein.“ Dort sind auf einer kleinen Rampe Kartoffelwaggone gestanden. Und er hat ein Kommando gehabt, das die Kartoffeln für die Küche liefern muss, auf Lastwagen. Das ist die Arbeit gewesen von denen, nur Kartoffeln oder Rüben umzuladen. Das war die Arbeit.
Und das war an dem Tag, wo ich weggegangen bin vom Kommando. Jetzt passiert Folgendes: Es wird knapp vor halb fünf – um halb fünf muss man sich aufstellen und ins Lager marschieren, normal über die Hauptstraße, wo die ganzen Lagereingänge sind, bis zu uns, zum B-Lager. Wir stehen, und der Kapo, Fritz Unschweif hat er geheißen, hatte dort eine kleine Hütte. Dort waren die Lieferanten von den Kartoffeln – denen musste er das immer bestätigen – mit zwei SS-Leuten, die uns begleitet haben, in der Hütte drinnen. Und es wird schon 5 vor halb 5, man muss ein bisschen sauber machen, und man stellt sich schon auf zum Abmarschieren. Auf einmal sehe ich, auf dem Nebengleis, wo die Kartoffeln sind, auf dem Geleise, Nebengeleise, fährt ein Zug hinein, ein Transport. Die Transporte sind ja immer im Rückwärtsgang ins Lager eingegangen, die sind ja nie mit der Lok rein, sondern immer verkehrt auf die Rampe. Und ich habe nie gewusst wo die immer reversieren. Und da habe ich jetzt gesehen, halt – da reversieren sie. Und der [Zug] bleibt gerade neben den Kartoffeln stehen und wartet, dass die Weichen gestellt werden. Und ich gehe zwischen die Waggons, und der [Zugführer] springt herunter und wartet jetzt, dass man die Weichen stellt. Und ich frage ihn – das war kein SSler –, „Sagen Sie einmal, von wo ist der Transport?“ Sagt er grad zu mir: „Was geht das dich an?“ „Wir sind das Kommando, das auf den Transport wartet.“ Da sagt er: „Aus Belgien.“
Und ich gehe so entlang, auf einmal schaut mein Bruder heraus und ruft meine Mutter. Jetzt war ich ganz schockiert, ich habe nicht gewusst, was mache ich jetzt. Meine Mutter geht jetzt ins Gas, hundertprozentig. Auf einmal kommt er schon mit den zwei SS-Leuten, der Kapo, der Fritz Unschweif, und der hat auch meine Mutter gekannt, von Brüssel. Und ich sag: „Du, Fritzl, wir müssen zu der Rampe, wir müssen den anderen Weg gehen ins Lager. Meine Mutter ist da drinnen.“ Sagt er: „Du, ich weiß nicht ob die mir das [erlauben], die zwei SS-Leute, ob die …“ – Sag ich: „Du, unbedingt! Versprich ihnen, was du willst, wir müssen über die Rampe.“ Also, der hat sie so weit gebracht. Wir sind abmarschiert, und wir sind wirklich auf der Rampe – wenn der Transport auf der Rampe ist, darf ja niemand rein, nicht einmal SS-Leute, die nichts [damit] zu tun haben, dürfen rein. Und wir marschieren auf der Seite, beim Zaun, auf der Rampe entlang, und unterdessen ist das Kommando, wo ich [zuvor] immer war, schon dort gestanden. Der Vorgang ist ja immer so: Der Waggon wird erst geöffnet, wenn der Rapport, also, wenn der Transportführer eine Liste abgibt, und die Liste bekommt die Gestapo. Hinten ist immer ein hoher SS-Mann gestanden, also, von der Gestapo, mit dem Motorrad, hinter dem [Lagerarzt Josef] Mengele, und hat die Transportliste übernommen. Hat sie durchgeschaut, weil oft sind ja drinnen gewesen: „S.B.“ wie „Sonderbehandlung“. Die haben sie rausgeholt vom Transport. Und die hat er genommen [...]. Ja, und wir kommen hin, und der Kapo steht schon mit der Mannschaft dort, und er kommt zu uns und sagt: „Hallo, was macht‘s ihr denn da?“ Sag ich: „Du, Hans, meine Mutter ist da drinnen.“
Nimmt er mich, stellt mich hinein, nimmt einen anderen und stellt den derweil ins andere Kommando. [Damit die Zahl stimmt?] Ja, und schickt die anderen rein [ins Lager]. Na, die sind ja später zum Appell gekommen wegen mir, und die haben dort Schläge gekriegt, haben müssen „Sport“ machen dort. Oje, was die mitgemacht haben durch mich. Und dann sag ich: „Hans, ich bitte dich, was machen wir jetzt?“ Sagt er: „Bleib ruhig. Du, geh hinein in [den Waggon].“ Ja, unterdessen sind die Frauen schon von dem Waggonende rausgegangen. Die Männer sind, also, gedreht worden, stehen schon zur Selektion, und er geht zu dem Mann von der Gestapo hin und sagt zu ihm: „Können Sie mir helfen? Von meinem Freund die Mutter ist da.“ Sagt er: „Schicken Sie mir Ihren Freund her.“ Der Hans kommt zu mir, sagt er: „Du, geh hin zu ihm.“ Ich geh hin zu ihm, und er sagt: „Gehen Sie zu Ihrer Mutter hin, bleiben Sie bei ihr stehen. Ganz kurz.“ Bin weggegangen, habe mich zu meiner Mutter gestellt und sag meiner Mutter noch: „Du, bitte, mach die Augen auf!“ Und meine Mutter muss, wie sie gestanden ist, gesehen haben, dass ich dort hingegangen bin. Das muss meine Mutter gesehen haben. Und ich sage: „Bitte mach die Augen auf.“ Und wirklich, sie kommt zum Mengele, und der Mengele hat sie auf die Seite gestellt, zum Gas. Sie war schon angestellt, dort, wo schon Frauen gestanden sind, hat sie sich hingestellt und hat aber zum Glück immer hingeschaut, wo ich war, bei dem [SS-Mann von der Gestapo]. Und der hat jetzt zu ihr so gemacht [Herr Lopper deutet in eine Richtung], und meine Mutter ist hinter dem Mengele zu ihm hingegangen, und bevor sie zu ihm hingekommen ist, hat er gesagt: „Gehen Sie dort rüber.“ Und da ist sie, meine Mutter, ins Frauenlager hineingekommen. So hat es sich abgespielt. Ich war einen Tag weg! Aber fünf, vielleicht drei Minuten, bevor wir weggegangen sind, ist der Zug gekommen. Wenn der fünf Minuten später kommt, weiß ich gar nicht, dass meine Mutter gekommen ist.
Na ja, so ist die Geschichte. Und das ist alles passiert, bis der 15. Jänner [1945] kam, wo ich auf den Todesmarsch gegangen bin. Gegangen sind wir im Winter, es war schrecklich. Schneestürme. Wir sind 16 Kilometer nach Gleiwitz. In Gleiwitz sind wir in offene Waggone verladen worden, und ich bin nach Dora-Mittelbau. Na, das war das Ärgste. Im Harz, Tunnelbau. [...] Im Stollen drin. [...] Ende März, da sind schon die Tiefflieger gekommen. Da haben sie uns wieder verladen. Was ich Ihnen sage, was da am Weg passiert ist, von Dora nach Mauthausen – das sind normal, wenn man mit einem Zug fährt, sechs oder sieben Stunden. Wir sind zwei Tage und zwei Nächte [gefahren]. Wir sind von Tieffliegern angegriffen worden, die Loks wurden immer als Erste getroffen und konnten nicht weiter. Ich habe einen Freund gehabt von „Kanada“, [...] ein Slowake, ein junger, fescher Bursch, der hat auch mit mir im Kommando gearbeitet. Wir sind beide auf den Transport gegangen, wir sind von Birkenau weg zusammen gewesen, auch im Waggon. Man hat tote Leute, Häftlinge, während der Fahrt aus dem Waggon rausgehaut. Also, was sich da abgespielt hat, bis wir nach Dora gekommen sind … Und dann sind wir von Tieffliegern angegriffen worden. Die Tiefflieger sind immer gekommen und haben den Transport ins Visier genommen. Und da haben wir gesagt, wir sind da nicht sicher, und kriechen unter den Waggon. Und wie wir liegen, geht auf einmal ein Geschoss durch die Schienen durch. Da haben wir gesehen, das nutzt ja auch nichts. Jetzt haben wir gewartet und geschaut – wenn die gekommen sind, haben sie einen Bogen gemacht und [kamen] wieder zurück, und die haben immer auf die Transporte geschossen. Weil wir hatten ja auch SS-Leute dabei. Die haben ja nicht gesehen, dass es [ein Häftlingstransport war]. Zu dritt haben wir uns entschlossen – ungefähr 50 Meter entfernt über den Bahndamm war ein Wald. Wir haben gedacht, wir müssen schauen, dass wir da rüberkommen in den Wald. Also, jetzt müssen Sie sich vorstellen, wir sind zu dritt rausgelaufen, und mitten am Weg kommt auf einmal der [Tiefflieger] runter, und wir legen uns auf die Erde. [...] Also, der eine war mehr oben, mein Freund in der Mitte und ich hinten, weil ich nicht so schnell war. Und auf einmal kommt der [Tiefflieger] runter und [Herr Lopper imitiert das Getöse] so ein Spritzer [landet] neben meinem Kopf, ein Spritzer, [einem Freund] ein Geschoss mitten in den Rücken und dem anderen in den Fuß. Und wie ich sehe, dass der [Tiefflieger] wieder die Schleife macht, bin ich schnell auf und bin in den Wald rein. Und die sind natürlich liegen geblieben, und ich bin in den Wald gegangen, und gegangen, und hab gedacht, ich gehe noch einmal zu dem Transport hin. Ich habe nicht gewusst, was ich machen soll, bin gegangen, und auf einmal stoße ich auf die Wehrmacht, im Wald. Und die haben gesehen, ein Häftling. Kommt einer und sagt: „Hallo, was machen Sie da? Wo gehst du hin?“ Sag ich: „Wir sind angegriffen worden.“ Das haben die ja gewusst. „Wir sind angegriffen worden, und ich möchte wieder zurück zum Transport.“ Hat er angerufen und sagt er: „Ok, führ ihn runter!“ Dann bin ich nach Mauthausen gekommen. Aber das hat gedauert. So war das. [Haben Sie Ihren Freund verloren, ist er gestorben?] Ja, den habe ich verloren, der ist nimmer … sind ja viele dort gelegen.
Sie sind ja in Mauthausen befreit worden – sind Sie dann in Österreich geblieben?
Nein, nein, ich bin nach Belgien zurück.
Da haben Sie dann Ihre Familie wieder getroffen?
Ja, ja. Es sind ja von Hörsching [bei Linz] Transporte gegangen. Erst nach Paris. In Paris sind wir untersucht worden und mit dem Puder eingespritzt worden, alle. Und dann bin ich nach Brüssel gekommen. Das Rote Kreuz hat mich nach Brüssel gebracht. Und dort ist dann die Familie langsam eingetroffen. Mein Bruder ist in Auschwitz von den Russen befreit worden. Meine Mutter ist auf Transport gegangen, in eine Glühlampenfabrik, und hat dort überlebt. So ist das gewesen. [...] Ich bin erst 1953 [nach Wien] zurückgekommen. Zur Lagergemeinschaft [Auschwitz] bin ich erst später dazugekommen.
Kennen Sie die österreichische Ausstellung in Auschwitz, waren Sie einmal dort?
Freilich, ja, die alte Ausstellung. Ich war zweimal dort, aber ich kenne den Block, wo ich gewohnt habe, den habe ich auch einmal besucht, das ist ja der bei der Ausstellung. [...] Wie ich das zweite Mal in Auschwitz war, da war ich mit der Lagergemeinschaft […], das war später. Ich glaube, das war in den 80er-Jahren. [...] Also auf jeden Fall, im Block 17, da war ich ein paar Monate [untergebracht].
Hat Ihnen die Ausstellung gefallen?
Na ja, es ist ein Winkelwerk gewesen. Haben Sie sie gesehen? So ein Winkelwerk – das war mir ein bisschen nicht einladend.
Haben Sie sich von der Ausstellung angesprochen gefühlt?
Ja sicher. Ich habe das Gebäude anders in Erinnerung, wie ich dann gekommen bin. Schauen Sie, ich bin ja kaum vom gemeinsamen Raum [weggekommen] – woanders sind wir gar nicht hingekommen. Ich habe mich immer nur im Schlafraum aufgehalten, und im Waschraum. [...]
Würden Sie sich irgendetwas Spezielles von der neuen Ausstellung wünschen?
Na ja, ich meine, es ist schon so viel gesagt und gezeigt worden. Man hat ja dort nicht viel zu sehen [vom Originalzustand]. Die Bettenreihe – mehr habe ich ja dort nicht mitbekommen. Waschraum, Bettenreihe. [...]
Haben Sie auch in Schulen von Ihren Erlebnissen erzählt?
Wenig, wenig. Ich war ja sehr beschäftigt. Von 1955/56 bis 1983 war ich [bei der Wiener Austria] Tag und Nacht beschäftigt. Ich war eine Zeitlang ganz allein [angestellt]. [...] Danach bin ich zur Lagergemeinschaft gegangen, da hatte ich mehr Zeit. Aber ich bin ja gehandicapt, meine Füße [...], und ich geh jetzt auf die 94 zu.
Ich vergess sehr vieles von früher, ich muss lange nachdenken. Ich habe auch viel mitgemacht. Ich habe sehr viel – sehr viel, dazwischen, gelitten. Ich habe ein paar Mal den Tod vor den Augen gehabt – einige Male den Tod. Einige haben mir viel geholfen, der Kapo, der Spanienkämpfer [Hans Schor], der hat mir viel geholfen. Sonst wäre ich schon früher auch [umgekommen] – man hat mich einmal von der Rampe reingetragen. Normalerweise, wenn du so zusammengeschlagen wirst, kommst du gleich in die Gaskammer. [...] Der Kapo, der hat sofort veranlasst, nur nicht zum Appellplatz, sondern ins Revier, sofort ins Revier. Weil wenn man mich am Appellplatz sieht – ich hätte nicht mehr arbeiten gehen können, aus. Dann wäre ich schon längst damals [ermordet worden] – und der hat sofort gesagt: „Nicht zum Appell, rein ins Revier.“ Und dort waren die Ärzte, haben mich wirklich gut [behandelt]. Und dann hat man – oje, das sind diese Geschichten ...
Da könnten Sie noch viel erzählen …
Ja, ja. Und ich leide heute noch ein bisschen dran. Das Ganze, was ich mitgemacht habe, das kann ich gar nicht erzählen, das würde den Rahmen sprengen. Wenn ich Ihnen erzähle, was ich alles mitgemacht habe, und dazwischen. [...] Wir sind einmal am Abend spät hereingekommen ins Lager in Birkenau, von der Arbeit. Am Weg dorthin kommen zwei Lastwagen voll bei uns vorbei, Frauen, nackt auf den Lastwagen, nackt. Singen, weinen, jammern. Die Hatikva [Hymne der zionistischen Bewegung, später Nationalhymne Israels] haben‘s gesungen, sie haben gesungen die Marseillaise und sind in die Gaskammer und haben heruntergeschrien, wie wir marschiert sind, zu uns: „Schreit in die Welt hinaus, was da passiert!“ Und Sie müssen sehen, wie diese Frauen zur Gaskammer fahren. Am Abend, da war eine Selektion bei den Frauen, und die haben sie gleich auf die Lastwägen. [So etwas vergisst man nicht.] Nein!
Hat Ihnen das Reden darüber geholfen?
Ja, sicher. Aber mir ist es eine Belastung auch. Weil ich denke immer zurück, aber andererseits wieder bin ich froh, dass ich – was ich alles erlebt habe –, dass ich drübergekommen bin. Oft denke ich daran, was ich alles durchgemacht habe, und ich bin noch am Leben, ehrlich gesagt, es ist ein Geschenk Gottes.
[1] Zur Biografie von Norbert Lopper vgl. Michael John, Der Zeuge an der Rampe. Ein biographisches Porträt. In: Juden in Mitteleuropa (2006), 16–25, und Johann Skocek, Mister Austria. Das Leben des Klubsekretärs Norbert Lopper – Fußballer, KZ-Häftling, Weltbürger (Wien 2014).
[2] Transkription: Carina Fürst, Redaktion: Michaela Niklas.